Buddenbrooks
und dem Verlaufe seines Konzertes und versicherte dann, sogleich sich ebenfalls zur Ruhe begeben zu wollen.
Aber er ging nicht zur Ruhe, sondern nahm seine Wanderung wieder auf. Er dachte an die Säcke mit Weizen, Roggen, Hafer und Gerste, welche die Böden des »Löwen«, des »Walfisches«, der »Eiche« und der »Linde« füllen sollten, sann über dem Preise, dem – oh, durchaus nicht unanständigen Preise, den er zu bieten beabsichtigte, stieg um Mitternacht leise ins Comptoir hinunter und schrieb bei Herrn Marcus' Stearinkerze in einem Zuge einen Brief an Herrn von Maiboom auf Pöppenrade, einen Brief, der, als er ihn mit fieberheißem und schwerem Kopfe durchlas, ihm als der beste und taktvollste seines Lebens erschien.
Das war in der Nacht vor dem siebenundzwanzigsten Mai. Am nächsten Tage eröffnete er seiner Schwester in leichter und humoristischer Weise, daß er die Sache nun von allen Seiten betrachtet habe und daß er Herrn von Maiboom nicht einfach einen Korb geben und an den nächsten Beutelschneider verweisen könne. Am dreißigsten des Monats unternahm er eine Reise nach Rostock und fuhr von dort mit einem Mietswagen über Land.
Seine Laune war vortrefflich in den nächsten Tagen, sein Gang elastisch und frei, sein Mienenspiel verbindlich. Er neckte {523} Klothhilde, lachte herzlich über Christian, scherzte mit Tony, spielte am Sonntag eine ganze Stunde lang mit Hanno auf dem »Altan« in der zweiten Etage, indem er seinem Sohne half, winzige Getreidesäcke an einem kleinen, ziegelroten Speicher hinaufzuwinden und dabei die hohlen und gedehnten Rufe der Arbeiter nachahmte … und hielt in der Bürgerschaftssitzung vom 3. Juni über den langweiligsten Gegenstand von der Welt, über irgend eine Steuerfrage, eine so ausgezeichnete und witzige Rede, daß er in allen Stücken Recht bekam und Konsul Hagenström, der ihm opponiert hatte, der allgemeinen Heiterkeit anheimfiel.
5.
War es Unachtsamkeit oder Absicht von des Senators Seite – es fehlte nicht viel, so wäre er über eine Thatsache hinweggegangen, die nun durch Frau Permaneder, welche sich am treuesten und hingebendsten mit den Familienpapieren beschäftigte, aller Welt verkündet ward: die Thatsache, daß in den Dokumenten der 7. July des Jahres 1768 als Gründungstag der Firma angenommen war, und daß die hundertste Wiederkehr dieses Tages bevorstand.
Fast schien es, daß Thomas sich unangenehm berührt fühlte, als Tony ihn mit bewegter Stimme darauf aufmerksam machte. Der Aufschwung seiner Laune war nicht von Dauer gewesen. Allzu bald war er wieder still geworden, stiller vielleicht, als vorher. Mitten in der Arbeit konnte er das Comptoir verlassen, um, von Unruhe erfaßt, einsam im Garten umher zu gehen, dann und wann wie gehemmt und aufgehalten stehen zu bleiben und seufzend die Augen mit der Hand zu bedecken. Er sagte nichts, er sprach sich nicht aus … Gegen wen auch? Herr Marcus war – ein erstaunlicher Anblick – zum ersten Male in seinem Leben heftig geworden, als sein Compagnon ihm kurzer Hand von dem Geschäfte mit Pöppenrade Mitteilung ge {524} macht hatte, und hatte jede Verantwortung und jede Beteiligung abgelehnt. Seiner Schwester, Frau Permaneder, aber verriet sich Thomas an einem Donnerstag Abend auf der Straße, als sie sich mit einer Anspielung auf die Ernte von ihm verabschiedete, durch einen einzigen kurzen Händedruck, dem er hastig und leise die Worte hinzufügte: »Ach, Tony, ich wollte, ich hätte schon wieder verkauft!« Dann wandte er sich, jäh abbrechend, zum Gehen und ließ Frau Antonie verdutzt und ergriffen zurück … Dieser plötzliche Händedruck hatte etwas von ausbrechender Verzweiflung, dieses geflüsterte Wort so viel von lange verhaltener Angst gehabt … Als aber Tony bei der nächsten Gelegenheit versucht hatte, auf die Sache zurückzukommen, hatte er sich in desto ablehnenderes Schweigen gehüllt, voll Scham über die Schwäche, mit der er sich einen Augenblick hatte gehen lassen, voll Erbitterung über seine Untauglichkeit, dies Unternehmen vor sich selbst zu verantworten …
Nun sagte er schwerfällig und verdrießlich:
»Ach, meine Liebe, ich wollte, wir könnten das ganz einfach ignorieren!«
»Ignorieren, Tom? Unmöglich! Undenkbar! Meinst du, du könntest diese Thatsache unterschlagen? Meinst du, die ganze Stadt könnte die Bedeutung dieses Tages vergessen?«
»Ich sage nicht, daß es möglich ist; ich sage, daß es mir lieber wäre, wir könnten den Tag mit
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