Buddenbrooks
Stillschweigen begehen. Die Vergangenheit zu feiern, ist hübsch, wenn man, was Gegenwart und Zukunft betrifft, guter Dinge ist … Sich seiner Väter zu erinnern ist angenehm, wenn man sich einig mit ihnen weiß und sich bewußt ist, immer in ihrem Sinne gehandelt zu haben … Käme das Jubiläum zu gelegenerer Zeit … Kurz, ich bin wenig aufgelegt, Feste zu feiern.«
»Du mußt so nicht reden, Tom. Du meinst es auch nicht so und weißt wohl, daß es eine Schande, eine Schande wäre, das {525} hundertjährige Jubiläum der Firma Johann Buddenbrook sang- und klanglos vorübergehen zu lassen! Du bist jetzt nur ein bißchen nervös, und ich weiß auch warum … obgleich eigentlich gar keine Ursache dafür vorhanden ist … Aber wenn der Tag da ist, dann wirst du so freudig bewegt sein, wie wir Alle …«
Sie hatte recht, der Tag war nicht mit Stillschweigen zu übergehen. Nicht lange, so tauchte in den »Anzeigen« eine vorbereitende Notiz auf, die eine ausführliche Rekapitulation der Geschichte des altangesehenen Handelshauses für den Festtag selbst in Aussicht stellte – und es hätte ihrer kaum bedurft, um die wohllöbliche Kaufmannschaft aufmerksam zu machen. Was aber die Familie betraf, so war Justus Kröger der Erste, der am Donnerstag das Bevorstehende zur Sprache brachte, und Frau Permaneder sorgte dafür, daß, war das Dessert abgetragen, die ehrwürdige Ledermappe mit den Familiendokumenten feierlich aufgelegt ward, und daß man als Vorfeier sich mit den Daten, die aus dem Leben des seligen Johan Buddenbrook, Hannos Ur-Ur-Großvater, des Gründers der Firma, bekannt waren, eingehend beschäftigte. Wann er die Frieseln und wann die echten Blattern gehabt, wann er vom dritten Boden auf die Darre gestürzt und wann in ein hitzig Fieber mit Raserey verfallen, verlas sie mit einem religiösen Ernste. Sie konnte sich nicht genug thun, sie griff zurück bis ins 16. Jahrhundert zu dem ältesten Buddenbrook, der bekannt, zu dem, der zu Grabau Ratsherr gewesen und zu dem Gewandschneider in Rostock, der sich »sehr gut gestanden« – was unterstrichen war – und so außerordentlich viele lebendige und tote Kinder gehabt … »Was für ein prächtiger Mensch!« rief sie aus und machte sich daran, alte vergilbte und eingerissene Briefe und Festpoëme vorzutragen …
*
{526} Herr Wenzel war, wie sich versteht, am Morgen des siebenten Juli der erste Gratulant.
»Ja, Herr Senater, hundert Jahr!« sagte er und ließ Messer und Streichriemen behende in seinen roten Händen spielen … »Und ungefähr die Hälfte davon, das darf ich woll sagen, hab' ich in der werten Familie rasiert, und da erlebt man Manches mit, wenn man immer der Erste ist, der den Chef zu sprechen kriegt … Der selige Herr Konsul war auch immer des Morgens am gesprächigsten, und dann fragte er mich woll: Wenzel, fragt' er, was halten Sie von dem Roggen? Soll ich verkaufen oder meinen Sie, daß er noch steigt? …«
»Ja, Wenzel, ich kann mir das Ganze auch ohne Sie nicht denken. Ihr Beruf, wie ich Ihnen schon manchmal sagte, hat wirklich sehr viel Reizvolles. Wenn Sie morgens mit Ihrer Tour fertig sind, dann sind Sie klüger, als Alle, denn dann haben Sie die Chefs von ungefähr allen großen Häusern unter dem Messer gehabt und kennen die Laune von jedem Einzelnen, und darum kann Sie jeder Einzelne beneiden, denn das ist sehr interessant.«
»Da is was Wahres dran, Herr Senater. Was aber Herrn Senater seine eigne Laune betrifft, wenn ich so sagen darf … Herr Senater sind heut' Morgen wieder ein bißchen blaß?«
»So? Ja, ich habe Kopfschmerzen, und die werden nach menschlicher Voraussicht nicht so schnell vorübergehen, denn ich glaube, man wird mich heute etwas in Anspruch nehmen.«
»Glaub' ich auch, Herr Senater. Die Teilnahme ist groß, die Teilnahme ist sehr groß. Sehen Herr Senater nachher man gleich mal aus dem Fenster. Eine Menge Fahnen! Und unten vor der Fischergrube liegen der ›Wullenwewer‹ und die ›Friederike Oeverdieck‹ mit allen Wimpeln …«
»Na, machen Sie also schnell, Wenzel, ich habe keine Zeit zu verlieren.« –
Der Senator nahm heute nicht erst die Comptoirjacke, son {527} dern zog zu seinem hellen Beinkleid sofort einen schwarzen, offenen Rock an, der die weiße Piqué-Weste sehen ließ. Besuche waren für den Vormittag zu erwarten. Er warf einen letzten Blick in den Toilette-Spiegel, ließ noch einmal die langen Spitzen des Schnurrbartes durch die Brennschere gleiten und wandte sich
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