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Buddenbrooks

Buddenbrooks

Titel: Buddenbrooks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Oberlippe …
    »Ja, nun zu euch!« sagte der Senator. »Was ist denn das? Kommt, laßt los, wir wollen sie anlehnen.« Er stellte die Tafel neben dem Flügel aufrecht gegen die Wand und blieb, umgeben von den Seinen, davor stehen.
    Der schwere, geschnitzte Nußholzrahmen umspannte einen Karton, welcher unter Glas die Portraits der vier Inhaber der Firma Johann Buddenbrook zeigte; Name und Jahreszahlen standen in Golddruck unter jedem. Da war, nach einem alten Ölgemälde angefertigt, das Bild Johan Buddenbrooks, des Gründers, ein langer und ernster alter Herr, der mit festgeschlossenen Lippen streng und willensfest über sein Jabot hinwegblickte; da war das breite und joviale Angesicht Johann Buddenbrooks, Jean Jacques Hoffstedes Freund; da hielt, mit seinem in die Vatermörder geschobenen Kinn, seinem breiten und faltigen Munde und seiner großen, stark gebogenen Nase, der Konsul Johann Buddenbrook die geistvollen, von religiöser {530} Schwärmerei sprechenden Augen auf den Beschauer gerichtet; und endlich war da Thomas Buddenbrook selbst, in etwas jüngeren Jahren … Eine stilisierte, goldene Kornähre zog sich zwischen den Bildern hin, unter denen, ebenfalls in Golddruck, die Zahlen 1768 und 1868 bedeutsam neben einander prangten. Zu Häupten des Ganzen aber war in hohen gotischen Lettern und in der Schreibart Dessen, der ihn seinen Nachfahren überliefert, der Spruch zu lesen: »Mein Sohn, sey mit Lust bey den Geschäften am Tage, aber mache nur solche, daß wir bey Nacht ruhig schlafen können.«
    Die Hände auf dem Rücken betrachtete der Senator die Tafel längere Zeit.
    »Ja, ja«, sagte er plötzlich mit ziemlich spöttischem Accent, »eine ungestörte Nachtruhe ist eine gute Sache …« Dann, ernst, wenn auch ein wenig flüchtig, sagte er an alle Anwesenden gewandt:
    »Ich dank' euch herzlich, meine Lieben! Das ist ein sehr schönes und sinniges Geschenk! … Was meint ihr – wohin hängen wir es? Ins Privatcomptoir?«
    »Ja, Tom, über deinen Schreibtisch im Privatcomptoir!« antwortete Frau Permaneder und umarmte ihren Bruder; dann zog sie ihn in den Erker und wies hinaus.
    Unter dem tiefblauen Sommerhimmel flatterten die zweifarbigen Flaggen von allen Häusern – die ganze Fischergrube hinunter, von der Breitenstraße bis zum Hafen, woselbst der »Wullenwewer« und die »Friederike Oeverdieck« ihrem Rheder zu Ehren unter vollem Wimpelschmuck lagen.
    »So ist die ganze Stadt!« sagte Frau Permaneder, und ihre Stimme bebte … »Ich bin schon spazieren gegangen, Tom. Auch Hagenströms haben geflaggt! Ha, sie können nicht anders … Ich würde ihnen die Fenster einwerfen …«
    Er lächelte, und sie zog ihn ins Zimmer zurück an den Tisch.
    »Und hier sind Telegramme, Tom … nur die ersten, persön {531} lichen natürlich, von der auswärtigen Familie. Die von den Geschäftsfreunden gehen ans Comptoir …«
    Sie öffneten ein paar Depeschen: von den Hamburgern, von den Frankfurtern, von Herrn Arnoldsen und seinen Angehörigen in Amsterdam, von Jürgen Kröger in Wismar … Plötzlich errötete Frau Permaneder tief.
    »Er ist in seiner Art ein guter Mensch«, sagte sie und schob ihrem Bruder ein Telegramm zu, das sie erbrochen. Es war gezeichnet: »
Permaneder
«.
    »Aber die Zeit vergeht«, sagte der Senator und ließ den Deckel seiner Taschenuhr springen. »Ich möchte Thee trinken. Wollt ihr mir Gesellschaft leisten? Das Haus wird nachher wie ein Taubenschlag …«
    Seine Gattin, der Ida Jungmann ein Zeichen gegeben hatte, hielt ihn zurück.
    »Einen Augenblick, Thomas … Du weißt, Hanno muß gleich in die Privatstunde … Er möchte dir ein Gedicht hersagen … Komm her, Hanno. Und nun als ob niemand da wäre. Keine Aufregung!«
    Der kleine Johann mußte auch während der Ferien – denn im Juli waren Sommerferien – Privatunterricht im Rechnen nehmen, um in diesem Fache mit seiner Klasse Schritt halten zu können. Irgendwo in der Vorstadt Sankt Gertrud, in einer heißen Stube, in der es nicht zum besten roch, erwartete ihn ein Mann mit rotem Bart und unreinlichen Fingernägeln, um mit ihm dies verzweifelte Einmaleins zu exerzieren. Zuvor aber galt es, dem Papa das Gedicht aufzusagen, das Gedicht, das er mit Ida auf dem Altan in der zweiten Etage sorgfältig erlernt …
    Er lehnte am Flügel, in seinem Kopenhagener Matrosenanzug mit dem breiten Leinwandkragen, dem weißen Halseinsatz und dem dicken Schifferknoten, der unter dem Kragen hervorquoll, die zarten Beine gekreuzt,

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