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Buddenbrooks

Buddenbrooks

Titel: Buddenbrooks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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lugt hinunter. Dort unten ordnet sich eine Schar von fünfzehn oder zwanzig Männern mit Musik-Instrumenten, kommandiert von einem Herrn mit brauner Perücke, grauem Schifferbart und einem künstlichen Gebiß von breiten gelben Zähnen, das er laut redend zeigt … Was geschieht? Konsul Peter Döhlmann hält mit der Kapelle vom Stadttheater seinen Einzug! Schon steigt er selbst im Triumphe die Treppe herauf, ein Packet mit Programmen in der Hand schwingend!
    Und nun beginnt in dieser unmöglichen und maßlosen Akustik, in der die Töne zusammenfließen, die Accorde einander verschlingen und sinnlos machen, und in der das überlaut knarrende Grunzen der großen Baßtrompete, in welche ein dicker Mann mit verzweifeltem Gesichtsausdruck stößt, alles Übrige dominiert, das Ständchen, das man dem Hause Buddenbrook zu seinem Jubiläum bringt – es beginnt mit dem Chorale »Nun danket alle Gott«, dem alsbald eine Paraphrase über Offenbachs »Schöne Helena« folgt, worauf zunächst ein Potpourri von Volksliedern erklingen wird … Es ist ein ziemlich umfangreiches Programm.
    Ein hübscher Einfall von Döhlmann! Man beglückwünscht den Konsul, und Niemand ist nun geneigt, aufzubrechen, bevor das Konzert zu Ende. Man steht und sitzt im Salon und auf dem Korridor, hört zu und plaudert …
    Thomas Buddenbrook hielt sich, zusammen mit Stephan Kistenmaker, Senator Doktor Gieseke und Baumeister Voigt jenseits der Haupttreppe auf, bei der äußeren Thür zum Rauchzimmer und unweit des Aufganges zur zweiten Etage. Er stand an die Wand gelehnt, warf hie und da ein Wort in das Gespräch seiner Gruppe und blickte im Übrigen schweigsam über das Geländer hinweg ins Leere. Die Hitze hatte noch zugenommen, sie war noch drückender geworden; aber Regen war nun nicht mehr ausgeschlossen, denn den Schatten nach zu urteilen, die über das »Einfallende Licht« hinwegzogen, wa {540} ren Wolken am Himmel. Ja, diese Schatten waren so häufig, und folgten einander so schnell, daß die beständig wechselnde, zuckende Beleuchtung des Treppenhauses schließlich die Augen schmerzen machte. Jeden Augenblick erlosch der Glanz des vergoldeten Stucks, des Messing-Kronleuchters und der Blechinstrumente dort unten, um gleich darauf wieder aufzublitzen … Nur einmal verweilte der Schatten ein wenig länger, als gewöhnlich, und unterdessen hörte man mit leicht prasselndem Geräusch und in längeren Pausen fünf-, sechs- oder siebenmal etwas Hartes auf die Scheibe des »Einfallenden Lichtes« niederprallen: ein paar Hagelkörner ohne Zweifel. Dann erfüllte wieder Sonnenlicht das Haus von oben bis unten.
    Es giebt einen Zustand der Depression, in dem Alles, was uns unter normalen Umständen ärgert und eine gesunde Reaktion unseres Unwillens hervorruft, uns mit einem matten, dumpfen und schweigsamen Grame niederdrückt … So grämte Thomas sich über das Benehmen des kleinen Johann, so grämte er sich über die Empfindungen, die diese ganze Feierlichkeit in ihm bewirkte, und noch mehr über diejenigen, deren er sich beim besten Willen unfähig fühlte. Mehrere Male versuchte er sich aufzuraffen, seinen Blick zu erhellen und sich zu sagen, daß dies ein schöner Tag sei, der ihn notwendig mit gehobener und freudiger Stimmung erfüllen müsse. Aber, obgleich der Lärm der Instrumente, das Stimmengewirr und der Anblick der vielen Menschen seine Nerven erschütterten und zusammen mit der Erinnerung an die Vergangenheit, an seinen Vater, oftmals eine schwache Rührung in ihm aufsteigen ließen, so überwog doch der Eindruck des Lächerlichen und Peinlichen, das für ihn dem Ganzen anhaftete, dieser minderwertigen, akustisch verzerrten Musik, dieser banalen, von Coursen und Diners schwatzenden Versammlung … und dieses Gemisch von Rührung und Widerwillen gerade versetzte ihn in eine matte Verzweiflung …
    {541} Um 12 ¼ Uhr, als das Programm des Stadttheater-Orchesters anfing, seinem Ende entgegenzugehen, trat ein Zwischenfall ein, der die herrschende Festlichkeit in keiner Weise berührte oder unterbrach, der aber, seinem geschäftlichen Charakter zufolge, den Hausherrn nötigte, seine Gäste für kurze Minuten zu verlassen. Die Haupttreppe herauf nämlich kam, als die Musik eben pausierte, in völliger Verwirrung ob der vielen Herrschaften, der jüngste Lehrling des Comptoirs, ein kleiner, stark verwachsener Mensch, der seinen schamroten Kopf noch tiefer als nötig zwischen den Schultern trug, den einen seiner unnatürlich langen,

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