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Buddenbrooks

Buddenbrooks

Titel: Buddenbrooks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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der Senator hart und gereizt und stand auf. »Worüber weinst du? Weinen könnte man darüber, daß du selbst an einem Tage, wie heute, nicht genug Energie aufbringen kannst, um mir eine Freude zu machen. Bist du denn ein kleines Mädchen? Was soll aus dir werden, wenn du so fortfährst? Gedenkst du dich später immer in Thränen zu baden, wenn du zu den Leuten sprechen sollst? …«
    Nie, dachte Hanno verzweifelt, nie werde ich zu den Leuten sprechen!
    »Überlege dir die Sache bis heute Nachmittag«, schloß der Senator; und während Ida Jungmann bei ihrem Pflegling kniete, ihm die Augen trocknete und halb vorwurfsvoll, halb zärtlich tröstend auf ihn einsprach, ging er ins Eßzimmer hinüber.
    Während er eilig frühstückte, verabschiedeten sich die Konsulin, Tony, Klothhilde und Christian von ihm. Sie sollten heute zusammen mit den Krögers, den Weinschenks und den Damen Buddenbrook hier bei Gerda zu Mittag speisen, indes der Senator wohl oder übel bei dem Diner im Ratskeller zugegen sein mußte, aber nicht so lange dort zu bleiben gedachte, als daß er nicht hoffte, die Familie Abends noch in seinem Hause vorzufinden.
    Er trank, an dem bekränzten Tische, den heißen Thee aus der Untertasse, aß hastig ein Ei und that auf der Treppe ein paar {535} Züge aus der Cigarette. Grobleben, seinen wollenen Shawl auch zu dieser Sommerszeit um den Hals, einen Stiefel über den linken Unterarm gezogen, die Wichsbürste in der Rechten und einen länglichen Tropfen an der Nase, kam vom Gartenflur auf die vordere Diele und trat seinem Herrn am Fuße der Haupttreppe entgegen, wo jetzt der aufrechte Braunbär mit seiner Visitkartenschale seinen Platz hatte …
    »Je, Herr Senater, hunnert Jahr' … un de Ein is arm, und de Anner is riek …«
    »Schön, Grobleben, is all gaut!« Und der Senator ließ ein Geldstück in die Hand mit der Wichsbürste gleiten, worauf er über die Diele und durch das Empfangscomptoir schritt, das ihr zunächst lag. Im Hauptcomptoir kam der Kassier, ein langer Mann mit treuen Augen, ihm entgegen, um ihm in sorgfältigen Redewendungen die Glückwünsche des gesamten Personals zu übermitteln. Der Senator dankte in zwei Worten und ging an seinen Platz am Fenster. Aber kaum hatte er begonnen, einen Blick in die bereit liegenden Zeitungen zu thun und die Post zu öffnen, als an die Thür gepocht wurde, die zum vorderen Flur führte, und Gratulanten erschienen.
    Es war eine Abordnung der Speicher-Arbeiterschaft, sechs Männer, die breitbeinig und schwer wie Bären hereinkamen, mit ungeheurer Biederkeit ihre Mundwinkel nach unten zogen und ihre Mützen in den Händen drehten. Ihr Wortführer spie den braunen Saft seines Kautabaks in die Stube, zog seine Hose empor und redete mit wildbewegter Stimme von »hunnert Jahren« und »noch veelen hunnert Jahren« … Der Senator stellte ihnen eine beträchtliche Lohnerhöhung für diese Woche in Aussicht und entließ sie.
    Steuerbeamte kamen, um im Namen des Ressorts ihren Chef zu beglückwünschen. Als sie gingen, trafen sie in der Thür mit einer Anzahl Matrosen zusammen, welche, unter der Führung zweier Steuermänner, von den beiden zur Rhederei gehörigen {536} Schiffen »Wullenwewer« und »Friederike Oeverdieck« gesandt waren, die augenblicklich im Hafen lagen. Und es kam eine Deputation der Kornträger in schwarzen Blousen, Kniehosen und Cylindern. Dazwischen meldeten sich einzelne Bürger. Schneidermeister Stuht aus der Glockengießerstraße erschien, einen schwarzen Rock über dem wollenen Hemd. Dieser oder jener Nachbar, Blumenhändler Iwersen gratulierte. Ein alter Briefträger, mit weißem Bart, Ringen in den Ohren und Triefaugen, ein origineller Kauz, den der Senator an guten Tagen auf der Straße anzureden und »Herr Oberpostmeister« zu nennen pflegte, rief schon in der Thür: »Es is nich
da
rum, Herr Senator, ick komm nich
da
rum! Ick weet wull, de Lüd vertellen sick dat all, dat hier hüt Jeder wat schenkt kriegt … öäwer dat is nich
da
rum …!« Dennoch nahm er dankbar sein Geldstück entgegen … Das fand kein Ende. Als es halb elf Uhr war, meldete das Folgmädchen, daß die Senatorin im Salon die ersten Gäste empfange.
    Thomas Buddenbrook verließ das Comptoir und eilte die Haupttreppe hinan. Droben am Eingang zum Salon verweilte er eine halbe Minute vorm Spiegel, ordnete seine Krawatte und sog einen Augenblick den Eau de Cologne-Duft seines Taschentuches ein. Er war bleich, obgleich sein Körper sich in Transpiration

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