Buddenbrooks
hereingekommen, um Musik zu hören! Wollen Sie seinen Geist denn ganz und gar vergiften?« …
Aber so fürchterlich er sich gebärdete, – langsam und Schritt für Schritt, durch Gewöhnung und Zureden, zog sie ihn zu sich herüber.
»Pfühl«, sagte sie, »seien Sie billig und nehmen Sie die Sache mit Ruhe. Seine ungewohnte Art im Gebrauch der Harmonieen verwirrt Sie … Sie finden, im Vergleich damit, Beethoven rein, klar und natürlich. Aber bedenken Sie, wie Beethoven seine nach alter Weise gebildeten Zeitgenossen aus der Fassung gebracht hat … und Bach selbst, mein Gott, man warf ihm Mangel an Wohlklang und Klarheit vor! … Sie sprechen von Moral … aber was verstehen Sie unter Moral in der Kunst? Wenn ich nicht irre, ist sie der Gegensatz zu allem Hedonismus? Nun gut, den haben Sie hier. So gut wie bei Bach. Großartiger, bewußter, vertiefter als bei Bach. Glauben Sie mir, Pfühl, diese Musik ist Ihrem innersten Wesen weniger fremd, als Sie annehmen!«
»Gaukelei und Sophismen – um Vergebung«, murrte Herr {549} Pfühl. Aber sie behielt recht: Diese Musik war ihm im Grunde weniger fremd, als er anfangs glaubte. Zwar mit dem Tristan söhnte er sich niemals vollständig aus, obgleich er Gerdas Bitte, den »Liebestod« für Violine und Pianoforte zu setzen, schließlich mit vielem Geschick erfüllte. Gewisse Partien der »Meistersinger« waren es, für die er zuerst ein oder das andere Wort der Anerkennung fand … und nun begann unwiderstehlich erstarkend die Liebe zu dieser Kunst sich in ihm zu regen. Er gestand sie nicht, er erschrak fast darüber und verleugnete sie mit Murren. Aber seine Partnerin brauchte nun nicht mehr in ihn zu dringen, damit er, hatten die alten Meister ihr Recht erhalten, seine Griffe kompliziere und, mit jenem Ausdrucke eines verschämten und fast ärgerlichen Glückes im Blick, in das Leben und Weben der Leitmotive hinüberführe. Nach dem Spiele aber entspann sich vielleicht eine Auseinandersetzung über die Beziehungen dieses Kunststiles zu dem des strengen Satzes, und eines Tages erklärte Herr Pfühl, er sähe sich, obgleich das Thema ihn persönlich ja nicht berühre, nun doch verpflichtet, seinem Buche über den Kirchenstil einen Anhang »über die Anwendung der alten Tonarten in Richard Wagners Kirchen- und Volksmusik« hinzuzufügen.
Hanno saß ganz still, die kleinen Hände um sein Knie gefaltet und, wie er zu thun pflegte, die Zunge an einem Backenzahn scheuernd, wodurch sein Mund ein wenig verzogen wurde. Mit großen, unverwandten Augen beobachtete er seine Mutter und Herrn Pfühl. Er lauschte auf ihr Spiel und auf ihre Gespräche, und so geschah es, daß, nach den ersten Schritten, die er auf seinem Lebenswege gethan, er der Musik als einer außerordentlich ernsten, wichtigen und tiefsinnigen Sache gewahr wurde. Kaum hie und da verstand er ein Wort von dem, was gesprochen wurde, und was erklang, ging meist weit über sein kindliches Verständnis hinaus. Wenn er dennoch immer wieder kam und ohne sich zu langweilen Stunde für Stunde {550} reglos an seinem Platze ausharrte, so waren es Glaube, Liebe und Ehrfurcht, die ihn dazu vermochten.
Er war erst sieben Jahre alt, als er mit Versuchen begann, gewisse Klangverbindungen, die Eindruck auf ihn gemacht, auf eigene Hand am Flügel zu wiederholen. Seine Mutter sah ihm lächelnd zu, verbesserte seine mit stummem Eifer zusammengesuchten Griffe und unterwies ihn darin, warum gerade dieser Ton nicht fehlen dürfe, damit sich aus diesem Accord der andere ergäbe. Und sein Gehör bestätigte ihm, was sie ihm sagte.
Nachdem Gerda Buddenbrook ihn ein wenig hatte gewähren lassen, beschloß sie, daß er Klavierunterricht bekommen sollte.
»Ich glaube, er inkliniert nicht zum Solistentum«, sagte sie zu Herrn Pfühl, »und ich bin eigentlich froh darüber, denn es hat seine Schattenseiten. Ich rede nicht über die Abhängigkeit des Solisten von der Begleitung, obgleich sie unter Umständen sehr empfindlich werden kann, und wenn ich Sie nicht hätte … Aber dann besteht immer die Gefahr, daß man in mehr oder minder vollendetes Virtuosentum gerät … Sehen Sie, ich weiß ein Lied davon zu singen. Ich bekenne Ihnen offen, ich bin der Ansicht, daß für den Solisten eigentlich die Musik erst mit einem sehr hohen Grade von Können beginnt. Die angestrengte Konzentration auf die Oberstimme, ihre Phrasierung und Tonbildung, wobei die Polyphonie nur als etwas sehr Vages und Allgemeines zum Bewußtsein kommt, kann bei
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