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Buddenbrooks

Buddenbrooks

Titel: Buddenbrooks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Führerschaft war ohne gleichen. Er, der trotz aller Nachhilfestunden in der Schule dumpf und ohne Hoffnung auf Verständnis über seiner Rechentafel brütete, er begriff am Flügel Alles, was Herr Pfühl ihm sagte, er begriff es und eignete es sich an, wie man nur das sich aneignen kann, was Einem schon von jeher gehört hat. Edmund Pfühl aber, in seinem braunen Schoßrock, erschien ihm wie ein großer Engel, der ihn jeden Montag Nachmittag in die Arme nahm, um ihn aus aller alltäglichen Misere in das klingende Reich eines milden, süßen und trostreichen Ernstes zu entführen …
    Manchmal fand der Unterricht in Herrn Pfühls Hause statt, einem geräumigen alten Giebelhause mit vielen kühlen Gängen und Winkeln, das der Organist ganz allein mit einer alten Wirtschafterin bewohnte. Manchmal auch, am Sonntag, durfte der kleine Buddenbrook dem Gottesdienst in der Marienkirche droben an der Orgel beiwohnen, und das war etwas Anderes, als unten mit den anderen Leuten im Schiff zu sitzen. Hoch über der Gemeinde, hoch noch über Pastor Pringsheim auf seiner Kanzel saßen die Beiden inmitten des Brausens der gewaltigen Klangmassen, die sie gemeinsam entfesselten und beherrschten, denn mit glückseligem Eifer und Stolz durfte Hanno seinem Lehrer manchmal beim Handhaben der Register behilflich sein. Wenn aber das Nachspiel zum Chorgesang zu Ende war, wenn Herr Pfühl langsam alle Finger von den Tasten gelöst hatte und nur den Grund- und Baßton noch leise und feierlich hatte verhallen lassen – wenn dann nach einer stimmungsvollen Kunstpause unter dem Schalldeckel der Kanzel Pastor Pringsheims modulierende Stimme hervorzudringen begann, so geschah es gar nicht selten, daß Herr Pfühl ganz einfach sich über die Predigt zu moquieren, über Pastor Pringsheims stilisiertes Fränkisch, seine langen, dunklen, oder scharf accentuierten Vokale, seine Seufzer und den jähen Wechsel zwischen {554} Finsternis und Verklärung auf seinem Angesicht zu lachen anfing. Dann lachte auch Hanno, leise und tief belustigt, denn ohne sich anzusehen und ohne es sich zu sagen, waren die Beiden dort oben der Ansicht, daß diese Predigt ein ziemlich albernes Geschwätz und der eigentliche Gottesdienst vielmehr Das sei, was der Pastor und seine Gemeinde wohl nur für eine Beigabe zur Erhöhung der Andacht hielten: nämlich die Musik.
    Ja, das geringe Verständnis, das er unten im Schiff, unter diesen Senatoren, Konsuln und Bürgern und ihren Familien, für seine Leistungen vorhanden wußte, war Herrn Pfühls beständige Kümmernis, und eben darum hatte er gern seinen kleinen Schüler bei sich, den er wenigstens leise darauf aufmerksam machen konnte, daß Das, was er soeben gespielt, etwas außerordentlich Schwieriges gewesen sei. Er erging sich in den sonderbarsten technischen Unternehmungen. Er hatte eine »rückgängige Imitation« angefertigt, eine Melodie komponiert, welche vorwärts und rückwärts gelesen, gleich war, und hierauf eine ganze »krebsgängig« zu spielende Fuge gegründet. Als er fertig war, legte er mit trübem Gesichtsausdruck die Hände in den Schoß. »Es merkt es niemand«, sagte er mit hoffnungslosem Kopfschütteln. Und dann flüsterte er, während Pastor Pringsheim predigte:
    »Das war eine krebsgängige Imitation, Johann. Du weißt noch nicht, was das ist … es ist die Nachahmung eines Themas von hinten nach vorn, von der letzten Note zur ersten … etwas ziemlich Schwieriges. Später wirst du erfahren, was die Nachahmung im strengen Satze bedeutet … Mit dem Krebsgang werde ich dich niemals quälen, dich nicht dazu zwingen … Man braucht ihn nicht zu können. Aber glaube nie Denen, die dergleichen als Spielerei ohne musikalischen Wert bezeichnen. Du findest den Krebsgang bei den großen Komponisten aller Zeiten. Nur die Lauen und Mittelmäßigen verwerfen solche {555} Übungen aus Hochmut.
Demut
ziemt sich; das merke dir, Johann.« –
    - Am 15. April 1869, seinem achten Geburtstage, spielte Hanno der versammelten Familie zusammen mit seiner Mutter eine kleine, eigene Phantasie vor, ein einfaches Motiv, das er ausfindig gemacht, merkwürdig gefunden und ein wenig ausgebaut hatte. Natürlich hatte Herr Pfühl, dem er es anvertraut, mancherlei daran auszusetzen gehabt.
    »Was ist das für ein theatralischer Schluß, Johann! Das paßt ja gar nicht zum Übrigen? Zu Anfang ist Alles ganz ordentlich, aber wie verfällst du hier plötzlich aus H-dur in den Quart-Sext-Accord der vierten Stufe mit erniedrigter

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