Buddenbrooks
stand. »Und sie werden es noch weiter bringen, Tom, sie werden es bis ans Ende führen …«
»Tony«, sagte er und setzte sich schräg vor den Mahagonischreibtisch, schlug ein Bein über das andere und stützte den Kopf in die Hand … »Sprich aufrichtig, glaubst du noch an seine Unschuld?«
{607} Sie schluchzte ein paar mal und antwortete dann leise und verzweifelt:
»Ach, nein, Tom … Wie könnte ich das wohl? Gerade ich, die soviel Böses erleben mußte? Ich habe es von Anfang an nicht recht gekonnt, obgleich ich mich so ehrlich bemüht habe. Das Leben, weißt du, macht es Einem so furchtbar schwer, an die Unschuld irgend eines Menschen zu glauben … Ach nein, mich haben schon seit Langem Zweifel an seinem guten Gewissen gequält, und Erika selbst … sie ist irre an ihm geworden … sie hat es mir mit Weinen gestanden … irre an ihm geworden durch sein Betragen zu Hause. Wir haben natürlich geschwiegen … Seine Außenseite wurde immer rauher … und dabei verlangte er immer strenger, daß Erika heiter sein und seine Sorgen zerstreuen sollte und zerschlug Geschirr, wenn sie ernst war. Du weißt nicht, wie es war, wenn er sich spät abends noch stundenlang mit seinen Akten einschloß … und wenn man klopfte, so hörte man, wie er aufsprang und rief: ›Wer ist da! Was ist da!‹ …«
Sie schwiegen.
»Aber möge er doch schuldig sein! Möge er sich doch vergangen haben!« begann Frau Permaneder aufs Neue, und hierbei schwoll ihre Stimme an. »Er hat nicht für seine Tasche gearbeitet, sondern für die der Gesellschaft; und dann … Herr du mein Gott, es giebt doch Rücksichten zu beobachten in diesem Leben, Tom! Er hat nun einmal in unsere Familie hineingeheiratet … er gehört nun einmal zu uns … Man kann Einen von uns doch nicht ins Gefängnis sperren, grundgütiger Himmel! …«
Er zuckte die Achseln.
»Du zuckst die Achseln, Tom … Du bist also willens, es zu dulden, es hinzunehmen, daß dieses Geschmeiß sich erfrecht, der Sache die Krone aufzusetzen? Man muß doch irgend etwas thun! Er darf doch nicht verurteilt werden! … Du bist doch des {608} Bürgermeisters rechte Hand … mein Gott, kann der Senat ihn denn nicht sofort begnadigen? … Ich will dir sagen … eben, bevor ich zu dir kam, war ich im Begriffe, zu Cremer zu gehen und ihn auf alle Weise anzuflehen, er möge intervenieren, möge in die Sache eingreifen … Er ist Polizeichef …«
»Oh, Kind, was für Thorheiten.«
»Thorheiten, Tom? – Und Erika? Und das Kind?« sagte sie und hob ihm flehend die Muff entgegen, in der ihre beiden Hände steckten. Dann schwieg sie einen Augenblick und ließ die Arme sinken; ihr Mund verbreiterte sich, ihr Kinn, das sich kraus zusammenzog, geriet in zitternde Bewegung, und während unter ihren gesenkten Lidern zwei große Thränen hervorquollen, fügte sie ganz leise hinzu:
»Und ich …?«
»O, Tony, Courage!« sagte der Senator, und gerührt und ergriffen von ihrer Hülflosigkeit rückte er ihr nahe, um ihr tröstend das Haar zurückzustreichen. »Noch ist nicht aller Tage Abend. Noch ist er ja nicht verurteilt. Es kann ja Alles gut gehen. Jetzt stelle ich erst einmal die Kaution, ich sage natürlich nicht nein dazu. Und dann ist Breslauer ja ein schlauer Mensch …«
Sie schüttelte weinend den Kopf.
»Nein, Tom, es wird nicht gut gehen, ich glaube nicht daran. Sie werden ihn verurteilen und einstecken, und dann kommt eine schwere Zeit für Erika und das Kind und mich. Ihre Mitgift ist nicht mehr da, sie steckt in der Ausstattung, in den Möbeln und den Bildern … und beim Verkaufe bekommt man kaum ein Viertel heraus … Und das Gehalt haben wir immer verbraucht … Weinschenk hat nichts zurückgelegt. Wir werden wieder zu Mutter ziehen, wenn sie es erlaubt, bis er wieder auf freiem Fuße ist … und dann wird es beinahe noch schlimmer, denn wohin dann mit ihm und uns? … Wir können einfach auf den Steinen sitzen«, sagte sie schluchzend.
{609} »Auf den Steinen?«
»Nun ja, das ist eine Redewendung … eine bildliche … Ach nein, es wird nicht gut gehen. Auf mich ist zu Vieles herabgekommen … ich weiß nicht, womit ich es verdient habe … aber ich kann nicht mehr hoffen. Nun wird es Erika ergehen, wie es mir mit Grünlich und Permaneder ergangen ist … Aber jetzt kannst du es sehen, jetzt kannst du es aus nächster Nähe beurteilen, wie es ist, wie es kommt, wie es über Einen hereinbricht! Kann man nun etwas dafür? Tom, ich bitte dich,
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