Buddenbrooks
angenommen habe. Aber der Profit habe sich sehr ungleich verteilt …
Die Ärzte gingen, und Senator Buddenbrook wandte sich, um noch einmal in das Krankenzimmer zurückzukehren. Er überlegte, was Grabow gesagt hatte … Es hatte soviel Hinterhältiges darin gelegen … Man hatte gefühlt, wie er sich vor einer entschiedenen Äußerung hütete. Das einzige klare Wort war »Lungenentzündung« gewesen, und dieses Wort wurde nicht tröstlicher dadurch, daß Doktor Langhals es in die Sprache der Wissenschaft übersetzt hatte. Lungenentzündung in den Jahren der Konsulin … Schon daß es zwei Ärzte waren, die kamen und gingen, gab der Sache einen beunruhigenden {615} Aspekt. Grabow hatte Das ganz leichthin und fast unmerklich arrangiert. Er gedenke, sich über Kurz oder Lang zur Ruhe zu setzen, hatte er gesagt, und da der junge Langhals berufen sei, seine Praxis zu übernehmen, so mache er – Grabow – sich ein Vergnügen daraus, ihn hie und da schon jetzt heranzuziehen und einzuführen …
Als der Senator in das halbdunkle Schlafzimmer trat, war seine Miene munter und seine Haltung energisch. Er war so gewöhnt daran, Sorge und Müdigkeit unter einem Ausdruck von überlegener Sicherheit zu verbergen, daß beim Öffnen der Thür diese Maske beinahe von selbst infolge eines ganz kurzen Willensaktes über sein Gesicht geglitten war.
Frau Permaneder saß an dem Himmelbett, dessen Verhänge zurückgeschlagen waren, und hielt die Hand ihrer Mutter, die, von Kissen gestützt, den Kopf dem Eintretenden zuwandte und ihm mit ihren hellblauen Augen forschend ins Gesicht sah. Es war ein Blick voll beherrschter Ruhe und von angespannter, unausweichlicher Eindringlichkeit, der, da er ein wenig von der Seite kam, beinahe etwas Lauerndes hatte. Abgesehen von der Blässe der Haut, die auf den Wangen ein paar Flecke von fieberiger Röte hervortreten ließ, zeigte dies Gesicht durchaus keine Mattigkeit und Schwäche. Die alte Dame war sehr aufmerksam bei der Sache, aufmerksamer noch, als ihre Umgebung, denn am Ende war sie die zunächst Beteiligte. Sie mißtraute dieser Krankheit und war ganz und gar nicht gewillt, sich aufs Ohr zu legen und den Dingen nachgiebig ihren Lauf zu lassen …
»Was haben sie gesagt, Thomas?« fragte sie mit so bestimmter und lebhafter Stimme, daß sich sofort ein heftiger Husten einstellte, den sie mit geschlossenen Lippen zurückzuhalten suchte, der aber hervorbrach und sie zwang, die Hand gegen ihre rechte Seite zu pressen.
»Sie haben gesagt«, antwortete der Senator, als der Anfall {616} vorüber war, und streichelte ihre Hand … »Sie haben gesagt, daß unsere gute Mutter in ein paar Tagen wieder auf den Füßen sein wird. Daß du das noch nicht kannst, weißt du, das liegt daran, daß dieser dumme Husten natürlich die Lunge ein bißchen angegriffen hat … es ist nicht gerade Lungenentzündung«, sagte er, da er sah, daß ihr Blick noch eindringlicher wurde … »obgleich ja auch Das noch nicht das Ende aller Dinge wäre, ach, da giebt es Schlimmeres! Kurz, die Lunge ist etwas gereizt, sagen die Beiden, und damit mögen sie wohl recht haben … Wo ist denn die Severin?«
»Zur Apotheke«, sagte Frau Permaneder.
»Seht ihr, die ist schon wieder in der Apotheke, und du, Tony, siehst aus, als wolltest du jeden Augenblick einschlafen. Nein, das geht nicht länger. Wenn es auch nur für ein paar Tage ist … wir müssen eine Pflegerin hier haben, meint ihr nicht auch? Wartet, ich lasse jetzt gleich bei meiner Grauen Schwester Oberin anfragen, ob Eine disponibel ist …«
»Thomas«, sagte die Konsulin jetzt mit behutsamer Stimme, um den Hustenreiz nicht wieder zu entfesseln, »glaube mir, du erregst Anstoß mit deiner beständigen Protektion der Katholischen gegenüber den schwarzen Protestantischen. Du hast den Einen direkte Vorteile verschafft und thust nichts für die Anderen. Ich versichere dich, Pastor Pringsheim hat sich neulich mit deutlichen Worten bei mir darüber beklagt …«
»Ja, das nützt ihm gar nichts. Ich bin überzeugt, daß die Grauen Schwestern treuer, hingebender, aufopferungsfähiger sind, als die Schwarzen. Diese Protestantinnen, das ist nicht das Wahre. Das will sich Alles bei erster Gelegenheit verheiraten … Kurzum, sie sind irdisch, egoistisch, ordinär … Die Grauen sind dégagierter, ja, ganz sicher, sie stehen dem Himmel näher. Und gerade, weil sie mir Dank schulden, sind sie vorzuziehen. Was ist Schwester Leandra uns nicht gewesen, als Hanno
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