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Buddenbrooks

Buddenbrooks

Titel: Buddenbrooks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Gemeinsinn und Nächstenliebe verriet. Sie kletterte, gemeinsam mit Thomas, in den Speichern an der Trave zwischen den Mengen von Hafer und Weizen umher, die auf den Böden ausgebreitet waren, sie schwatzte mit den Arbeitern und {70} den Schreibern, die dort in den kleinen dunklen Comptoirs zu ebener Erde saßen, ja sie half sogar draußen beim Aufwinden der Säcke. Sie kannte die Schlachter, die mit ihren weißen Schürzen und Mulden, durch die Breite Straße wanderten; sie kannte die Milchfrauen, die mit ihren Blechkannen vom Lande hereinkamen, und ließ sich manchmal ein Stück von ihnen kutschieren; sie kannte die graubärtigen Meister in den kleinen, hölzernen Goldschmiedbuden, die in die Marktarkaden hineingebaut waren, die Fisch-, Obst- und Gemüsefrauen auf dem Markte, sowie die Dienstmänner, die an den Straßenecken ihren Tabak kauten … Gut und schön!
    Aber ein bleicher, bartloser Mensch, dessen Alter nicht zu bestimmen ist und der morgens mit einem traurigen Lächeln in der Breiten Straße zu lustwandeln pflegt, kann nichts dafür, wenn er gezwungen ist, bei jedem plötzlichen Laut, den man ausstößt – zum Beispiel »Ha!« oder »Ho!« – auf einem Beine zu tanzen; und dennoch ließ Tony ihn tanzen, sobald sie ihn zu Gesichte bekam. Es ist ferner nicht schön, eine ganz winzige kleine Frau mit großem Kopfe, welche die Gewohnheit hat, bei jeder Witterung einen ungeheuren, durchlöcherten Schirm über sich aufgespannt zu halten, beständig durch Rufe wie »Schirmmadame!« oder »Champignon!« zu betrüben; und es ist tadelnswert, wenn man mit zwei oder drei gleichgesinnten Freundinnen vor dem Häuschen der alten Puppenliese erscheint, die in einer engen Twiete bei der Johannisstraße mit wollenen Puppen handelt und allerdings ganz merkwürdig rote Augen hat, – dort aus Leibeskräften die Glocke zieht und, wenn die Alte herauskommt, mit falscher Freundlichkeit fragt, ob hier vielleicht Herr und Madame Spucknapf wohnen, worauf man mit großem Gekreisch davonrennt … Das alles aber that Tony Buddenbrook und zwar, wie es schien, mit völlig gutem Gewissen. Denn wurde ihr von seiten irgend eines Gequälten eine Drohung zu teil, so mußte man sehen, wie sie {71} einen Schritt zurücktrat, den hübschen Kopf mit der vorstehenden Oberlippe zurückwarf und ein halb entrüstetes, halb moquantes »Pa!« hervorstieß, als wollte sie sagen: »Wage es nur, mir etwas anhaben zu wollen! Ich bin Konsul Buddenbrooks Tochter, wenn du es vielleicht nicht weißt …«
    Sie ging in der Stadt wie eine kleine Königin umher, die sich das gute Recht vorbehält, freundlich oder grausam zu sein, je nach Geschmack und Laune.

3.
    Jean Jacques Hoffstede hatte, was die beiden Söhne des Konsuls Buddenbrook anging, sicherlich ein treffendes Urteil gefällt.
    Thomas, der seit seiner Geburt bereits zum Kaufmann und künftigen Inhaber der Firma bestimmt war und die realwissenschaftliche Abteilung der alten Schule mit den gotischen Gewölben besuchte, war ein kluger, regsamer und verständiger Mensch, der sich übrigens aufs köstlichste amüsierte, wenn Christian, welcher Gymnasiast war und nicht weniger Begabung aber weniger Ernsthaftigkeit zeigte, mit ungeheurem Geschick die Lehrer nachahmte – im Besonderen den tüchtigen Herrn Marcellus Stengel, der im Singen, Zeichnen und derartigen lustigen Fächern den Unterricht erteilte.
    Herr Stengel, aus dessen Westentaschen stets ein halbes Dutzend wundervoll gespitzter Bleistifte hervorstarrten, trug eine fuchsrote Perücke und einen offenen, hellbraunen Rock, der ihm fast bis an die Knöchel reichte, besaß Vatermörder, die sogar noch seine Schläfen bedeckten, und war ein witziger Kopf, der philosophische Unterscheidungen liebte, wie etwa: »Du sollst 'ne Linie machen, mein gutes Kind, und was machst du? Du machst 'nen Strich!« – Er sagte »Line« statt »Linie«. Oder zu einem Faulen: »Du sitzest in Quarta nicht Jahre, will ich dir sagen, sondern Jahren!« – Wobei er »Quäta« statt »Quarta« sagte {72} und nicht »Jahre«, sondern beinahe »Schahre« aussprach … Sein Lieblingsunterricht bestand darin, in der Gesangstunde das schöne Lied »Der grüne Wald« üben zu lassen, wobei einige Schüler auf den Korridor hinausgehen mußten, um, wenn der Chorus angestimmt hatte: »Wir ziehen so fröhlich durch Feld und Wald …« ganz leise und vorsichtig das letzte Wort als Echo zu wiederholen. Waren jedoch Christian Buddenbrook, sein Vetter Jürgen Kröger oder

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