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Buddenbrooks

Buddenbrooks

Titel: Buddenbrooks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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nicht viel, er sah nur unverwandt und mit einem leisen Kopfschütteln auf sein Leben und das Leben im Allgemeinen zurück, das ihm plötzlich so fern und wunderlich erschien, dieses überflüssig geräuschvolle Getümmel, in dessen Mitte er gestanden, das sich unmerklich von ihm zurückgezogen hatte und nun vor seinem verwundert aufhorchenden Ohr in der Ferne erhallte … Manchmal sagte er mit halber Stimme vor sich hin:
    »Kurios! Kurios!«
    Und als dann Madame Buddenbrook ihren letzten, ganz kurzen und kampflosen Seufzer gethan hatte, als im Eßsaal, woselbst die Einsegnung stattfand, die Träger den blumenbedeckten Sarg aufgehoben hatten, um ihn schwerfällig davonzuschaffen, – da änderte sich seine Stimmung nicht, da weinte er nicht einmal, aber dies leise, erstaunte Kopfschütteln blieb ihm, und dies beinahe lächelnde »Kurios!« wurde sein Lieblingswort … Kein Zweifel, daß es auch mit Johann Buddenbrook zu Ende ging.
    Er fing an, stumm und abwesend im Familienkreise zu sitzen, und wenn er einmal die kleine Clara auf die Kniee genommen hatte, um ihr vielleicht eines seiner alten drolligen Lieder vorzusingen, zum Beispiel:
     
    »Der Omnibus fährt durch die Stadt«
    oder
    »Kiek, doa sitt'n Brummer an de Wand …«
     
    so konnte er plötzlich stillschweigen, um dann die Enkelin, gleichsam aus einem langen, halb unbewußten Gedankengange heraus, mit einem kopfschüttelnden »Kurios!« zu Boden zu setzen und sich abzuwenden … Eines Tages sagte er:
    »Jean, – assez, du?«
    Und alsbald begannen in der Stadt die reinlich gedruckten und mit zwei Unterschriften versehenen Formulare zu zirku {78} lieren, auf denen Johann Buddenbrook senior sich kundzuthun erlaubte, daß sein zunehmendes Alter ihn veranlasse, seine bisherige kaufmännische Wirksamkeit aufzugeben, und daß er infolgedessen die von seinem seligen Vater Anno 1768 gegründete Handlung
Johann Buddenbrook
mit Activis und Passivis unter gleicher Firma von heute an seinem Sohne und seitherigen Associé Johann Buddenbrook als alleinigem Inhaber übertrage, mit der Bitte, das ihm so vielseitig geschenkte Vertrauen seinem Sohne zu erhalten … Hochachtungsvoll – Johann Buddenbrook senior, welcher aufhören wird, zu zeichnen.
    Als aber diese Kundgebung erfolgt war, als der Alte fortan sich weigerte, noch einen Fuß ins Comptoir zu setzen, da nahm seine nachdenkliche Apathie in erschreckender Weise zu, da genügte, Mitte März, ein paar Monate nur nach dem Tode seiner Frau, irgend ein kleiner Frühlingsschnupfen, um ihn bettlägerig zu machen, – und dann, in einer Nacht, kam die Stunde, wo die Familie auch sein Bett umstand, wo er zum Konsul sagte:
    »Alles Glück, – du? Jean? Und immer courage!«
    Und zu Thomas:
    »Hilf deinem Vater!«
    Und zu Christian:
    »Werde was Ordentliches!«
    - worauf er schwieg, Alle anblickte und sich mit einem letzten »Kurios!« nach der Wand kehrte …
    Er hatte Gottholds bis zum Schluß nicht Erwähnung gethan, und auf die schriftliche Aufforderung des Konsuls, am Sterbebette des Vaters zu erscheinen, hatte der älteste Sohn mit Schweigen geantwortet. Am nächsten Morgen jedoch, ganz früh, als die Todesanzeigen noch nicht versandt waren und der Konsul auf die Treppe hinaustrat, um im Comptoir das Notwendigste zu erledigen, geschah das Merkwürdige, daß Gott {79} hold Buddenbrook, Inhaber der Leinenhandlung Siegmund Stüwing & Comp. in der Breitenstraße, raschen Schrittes über die Diele kam. Sechsundvierzigjährig, klein und beleibt, besaß er starke, aschblonde, mit weißen Fäden durchsetzte Cotelettes. Er war kurzbeinig und trug sackartig weite Hosen aus rauhem, karriertem Stoff. Die Treppe hinauf schritt er dem Konsul entgegen, indem er die Brauen hoch unter die Krempe seines grauen Hutes erhob und sie dennoch zusammenzog.
    »Johann«, sagte er, ohne dem Bruder die Hand zu reichen, mit hoher, angenehmer Stimme, »wie steht es?«
    »Heute nacht ist er heimgegangen!« sagte der Konsul bewegt und ergriff die Hand des Bruders, die einen Regenschirm hielt. »Er, der beste Vater!«
    Gotthold senkte die Brauen so tief, daß seine Lider sich schlossen. Nach einem Schweigen sagte er nachdrücklich:
    »Es ist nichts geändert worden, bis zum Schlusse, Johann?«
    Und sofort ließ der Konsul seine Hand fahren, ja, er trat sogar eine Stufe zurück, und während seine runden, tiefliegenden Augen klar wurden, sagte er:
    »Nichts.«
    Gottholds Brauen wanderten wieder unter die Hutkrempe hinauf, und seine Augen

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