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Buddenbrooks

Buddenbrooks

Titel: Buddenbrooks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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zu Tische … Was passiert sei? Ach, nichts … Eine große Lieferung Roggen nach Holland sei ihnen verloren gegangen; Strunck & Hagenström hätten sie ihnen vor der Nase weggeschnappt; ein Fuchs, dieser Hinrich Hagenström …
    Solche Äußerungen hatte Tony oft genug angehört, um gar nicht zum besten gegen Julchen Hagenström gestimmt zu sein. Sie gingen gemeinsam, weil sie einmal Nachbarinnen waren, aber meistens ärgerten sie einander.
    »Mein Vater hat tausend Thaler!« sagte Julchen und glaubte entsetzlich zu lügen. »Deiner vielleicht –?«
    Tony schwieg vor Neid und Demütigung. Dann sagte sie ganz ruhig und beiläufig:
    »Meine Chokolade eben hat furchtbar gut geschmeckt … Was trinkst du eigentlich zum Frühstück, Julchen?«
    »Ja, ehe ich es vergesse«, antwortete Julchen; »möchtest du gern einen von meinen Äpfeln haben? – Ja päh! ich gebe dir aber keinen!« Und dabei kniff sie ihre Lippen zusammen, und ihre schwarzen Augen wurden feucht vor Vergnügen. –
    {68} Manchmal ging Julchens Bruder Hermann, ein paar Jahre älter, als sie, gleichzeitig zur Schule. Sie besaß noch einen zweiten Bruder Namens Moritz, aber dieser war kränklich und ward zu Hause unterrichtet. Hermann war blond, aber seine Nase lag ein wenig platt auf der Oberlippe. Auch schmatzte er beständig mit den Lippen, denn er atmete nur durch den Mund.
    »Unsinn!« sagte er, »Papa hat viel mehr als tausend Thaler.« Das Interessante an ihm aber war, daß er als zweites Frühstück zur Schule nicht Brot mitnahm, sondern Citronensemmel: ein weiches, ovales Milchgebäck, das Korinthen enthielt, und das er sich zum Überfluß mit Zungenwurst oder Gänsebrust belegte … Dies war so sein Geschmack.
    Für Tony Buddenbrook war das etwas Neues. Citronensemmel mit Gänsebrust, – übrigens mußte es gut schmecken! Und wenn er sie in seine Blechbüchse blicken ließ, so verriet sie den Wunsch, ein Stück zu probieren. Eines Morgens sagte Hermann:
    »Ich kann nichts entbehren, Tony, aber morgen werde ich ein Stück mehr mitbringen, und das soll für dich sein, wenn du mir etwas dafür wiedergeben willst.«
    Nun, am nächsten Morgen trat Tony in die Allee hinaus und wartete fünf Minuten, ohne daß Julchen gekommen wäre. Sie wartete noch eine Minute, und dann kam Hermann allein; er schwenkte seine Frühstücksdose am Riemen hin und her und schmatzte leise.
    »Na«, sagte er, »hier ist eine Citronensemmel mit Gänsebrust; es ist nicht einmal Fett daran, – das pure Fleisch … Was giebst du mir dafür?«
    »Ja, – einen Schilling vielleicht?« fragte Tony. Sie standen mitten in der Allee.
    »Einen Schilling …« wiederholte Hermann; dann schluckte er hinunter und sagte:
    »Nein, ich will etwas anderes haben.«
    {69} »Was denn?« fragte Tony; sie war bereit, alles Mögliche für den Leckerbissen zu geben …
    »Einen Kuß!« rief Hermann Hagenström, schlang beide Arme um Tony und küßte blindlings darauf los, ohne ihr Gesicht zu berühren, denn sie hielt mit ungeheurer Gelenkigkeit den Kopf zurück, stemmte die linke Hand mit der Büchermappe gegen seine Brust und klatschte mit der rechten drei oder viermal aus allen Kräften in sein Gesicht … Er taumelte zurück; aber im selben Augenblick fuhr hinter einem Baume Schwester Julchen wie ein schwarzes Teufelchen hervor, warf sich, zischend vor Wut, auf Tony, riß ihr den Hut vom Kopf und zerkratzte ihr die Wangen aufs jämmerlichste … Seit diesem Ereignis war es beinahe zu Ende mit der Kameradschaft.
    Übrigens hatte Tony sicherlich nicht aus Schüchternheit dem jungen Hagenström den Kuß verweigert. Sie war ein ziemlich keckes Geschöpf, das mit seiner Ausgelassenheit seinen Eltern, im Besonderen dem Konsul, manche Sorge bereitete, und obgleich sie ein intelligentes Köpfchen besaß, das flink in der Schule erlernte, was man begehrte, so war ihr Betragen in so hohem Grade mangelhaft, daß schließlich sogar die Schulvorsteherin, welche Fräulein Agathe Vermehren hieß, ein wenig schwitzend vor Verlegenheit, in der Mengstraße erschien und der Konsulin höflichst anheimgab, der jungen Tochter eine ernstliche Ermahnung zu teil werden zu lassen – denn dieselbe habe sich, trotz vieler liebevoller Verwarnungen, auf der Straße aufs neue offenkundigen Unfugs schuldig gemacht.
    Es war kein Schade, daß Tony auf ihren Gängen durch die Stadt alle Welt kannte und mit aller Welt plauderte; der Konsul zumal war hiermit einverstanden, weil es keinen Hochmut, sondern

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