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Buddenbrooks

Buddenbrooks

Titel: Buddenbrooks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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nichts übrig, als ihn im Staub zu verehren und durch eine wahnsinnige Demut vielleicht zu verhüten, daß er einen nicht dahinraffe in seinem Grimm und nicht zermalme in seiner großen Gerechtigkeit …
    Der Name, den Kai ihm gegeben hatte, wurde nur von ihm selbst und Hanno Buddenbrook gebraucht, und sie hüteten sich, ihn vor den Kameraden laut werden zu lassen, aus Scheu vor dem starren und kalten Blick des Unverständnisses, den sie so wohl kannten … Nein, es gab nicht einen Punkt, in dem diese Beiden sich mit ihren Genossen verstanden. Es war ihnen sogar die Art von Opposition und Rache fremd, an der die Anderen sich genügen ließen, und sie mißachteten die üblichen Spottnamen, weil ein Humor daraus sprach, der sie nicht berührte und sie nicht einmal zum Lächeln brachte. Es war so billig, so nüchtern und unwitzig, den dünnen Professor Hückopp »die Spinne« und Oberlehrer Ballerstedt »Kakadu« zu nennen, eine so armselige Schadloshaltung für den Zwang des Staatsdienstes! Nein, Kai Graf Mölln war ein wenig bissiger! Für seine und Hannos Person hatte er den Brauch eingeführt, von den Lehrern nur vermittelst ihres richtigen bürgerlichen Namens unter Hinzufügung des Wortes »Herr« zu sprechen: »Herr Ballerstedt«, »Herr Mantelsack«, »Herr Hückopp« … Das ergab gleichsam eine ablehnende und ironische Kälte, eine spöttische Distanz und Fremdheit … Sie sprachen von dem »Lehrkörper« und amüsierten sich während ganzer Pausen damit, sich ein wirklich vorhandenes Geschöpf, eine Art Ungeheuer von widerlicher und phantastischer Gestaltung darunter vorzustellen. Und sie sprachen im Allgemeinen von der »An {798} stalt« mit einer Betonung, als handele es sich um eine solche, wie die, in der Hannos Onkel Christian sich aufhielt …
    Durch den Anblick des lieben Gottes, der noch eine Weile Alles in bleichen Schrecken versetzte, indem er mit fürchterlichem Brummen nach verschiedenen Richtungen auf das Butterbrotpapier zeigte, das hie und da auf den Fliesen lag, war Kai in vorzügliche Laune geraten. Er zog Hanno mit sich fort, zu einem der Thore, durch das die Lehrer, die zur zweiten Stunde eintrafen, den Hof beschritten, und fing an, sich ungeheuer tief vor den rotäugigen, blassen und dürftigen Seminaristen zu verbeugen, die vorübergingen, um sich zu ihren Sextanern und Septimanern auf die hinteren Höfe zu begeben. Er bückte sich übermäßig, ließ die Arme hängen und blickte von unten herauf hingebungsvoll zu den armen Gesellen empor. Als jedoch der greise Rechenlehrer, Herr Tietge, erschien, einige Bücher mit zitternder Hand auf dem Rücken haltend, auf unmögliche Art in sich hineinschielend, krumm, gelb und speiend, da sagte er mit klangvoller Stimme: »Guten Tag, du Leiche.« Worauf er klaren und scharfen Blickes irgendwohin in die Luft sah …
    Es schellte gellend in diesem Augenblick, und sofort begannen die Schüler von allen Seiten zu den Eingängen zusammenzuströmen. Aber Hanno hörte nicht auf zu lachen; er lachte noch auf der Treppe so sehr, daß seine Klassengenossen, die ihn und Kai umgaben, ihm kalt, befremdet und sogar ein wenig angewidert von so viel Albernheit ins Gesicht blickten …
    Es ward still in der Klasse, und Alles stand einmütig auf, als Oberlehrer Doktor Mantelsack eintrat. Er war der Ordinarius, und es war Sitte, vor dem Ordinarius Respekt zu haben. Er zog die Thür hinter sich zu, indem er sich bückte, reckte den Hals, um zu sehen, ob Alle standen, hing seinen Hut an den Nagel, und ging dann rasch zum Katheder, wobei er seinen Kopf in schnellem Wechsel hob und senkte. Hier nahm er Aufstellung und sah ein wenig zum Fenster hinaus, indem er seinen aus {799} gestreckten Zeigefinger, an dem ein großer Siegelring saß, zwischen Kragen und Hals hin und her bewegte. Er war ein mittelgroßer Mann mit dünnem, ergrautem Haar, einem krausen Jupiter-Bart und kurzsichtig hervortretenden saphirblauen Augen, die hinter den scharfen Brillengläsern glänzten. Er war gekleidet in einen offenen Gehrock aus grauem, weichem Stoff, den er in der Taillengegend mit seiner kurzfingerigen und runzeligen Hand sanft zu betasten liebte. Seine Beinkleider waren, wie bei allen Lehrern, bis auf den feinen Doktor Goldener, zu kurz und ließen die Schäfte von einem Paar außerordentlich breiter und marmorblank gewichster Stiefel sehen.
    Plötzlich wandte er den Kopf vom Fenster weg, stieß einen kleinen freundlichen Seufzer aus, indem er in die lautlose Klasse

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