Buddenbrooks
hier … Dahin haben Sie es gebracht … Haben Sie ein Herz, ein fühlendes Herz? … Hören Sie mich an … Sie sehen einen Mann vor sich, der vernichtet, zu Grunde gerichtet ist, wenn … ja, der vor Kummer sterben wird«, unterbrach er sich mit einer gewissen Hast, »wenn Sie seine Liebe verschmähen! Hier liege ich … bringen Sie es über das Herz, mir zu sagen: Ich verabscheue Sie –?«
»Nein, nein!« sagte Tony plötzlich in tröstendem Ton. Ihre Thränen waren versiegt, Rührung und Mitleid stiegen in ihr {121} auf. Mein Gott, wie sehr mußte er sie lieben, daß er diese Sache, die ihr selbst innerlich ganz fremd und gleichgültig war, so weit trieb! War es möglich, daß
sie
dies erlebte? In Romanen las man dergleichen, und nun lag im gewöhnlichen Leben ein Herr im Gehrock vor ihr auf den Knieen und flehte! … Ihr war der Gedanke, ihn zu heiraten einfach unsinnig erschienen, weil sie Herrn Grünlich albern gefunden hatte. Aber, bei Gott, in diesem Augenblicke war er durchaus nicht albern! Aus seiner Stimme und seinem Gesicht sprach eine so ehrliche Angst, eine so aufrichtige und verzweifelte Bitte …
»Nein, nein«, wiederholte sie, indem sie sich ganz ergriffen über ihn beugte, »ich verabscheue Sie nicht, Herr Grünlich, wie können Sie dergleichen sagen! … Aber nun stehen Sie auf … bitte …«
»Sie wollen mich nicht töten?« fragte er wieder, und sie sagte noch einmal in einem beinahe mütterlich tröstenden Ton:
»Nein – nein …«
»Das ist ein Wort!« rief Herr Grünlich und sprang auf die Füße. Sofort aber, als er Tonys erschrockene Bewegung sah, ließ er sich noch einmal nieder und sagte ängstlich beschwichtigend:
»Gut, gut … sprechen Sie nun nichts mehr, Antonie! Genug für diesmal, ich bitte Sie, von dieser Sache … Wir reden weiter davon … Ein anderes Mal … Ein anderes Mal … Leben Sie wohl für heute … Leben Sie wohl … Ich kehre zurück … Leben Sie wohl! –«
Er hatte sich rasch erhoben, er hatte seinen großen grauen Hut vom Tische gerissen, hatte ihre Hand geküßt und war durch die Glasthür hinausgeeilt.
Tony sah, wie er in der Säulenhalle seinen Stock ergriff und im Korridor verschwand. Sie stand, völlig verwirrt und erschöpft, inmitten des Zimmers, das feuchte Taschentuch in einer ihrer hinabhängenden Hände.
{122} 4.
Konsul Buddenbrook sagte zu seiner Gattin:
»Wenn ich mir denken könnte, daß Tony irgend einen delikaten Beweggrund hat, sich für diese Verbindung nicht entschließen zu können! Aber sie ist ein Kind, Bethsy, sie ist vergnügungslustig, tanzt auf Bällen, läßt sich von den jungen Leuten becouren und zwar mit Pläsir, denn sie weiß, daß sie hübsch und von Familie ist … sie ist vielleicht im geheimen und unbewußt auf der Suche, aber ich kenne sie, sie hat ihr Herz, wie man zu sagen pflegt, noch gar nicht entdeckt … Fragte man sie, so würde sie den Kopf hin und her drehen und nachdenken … aber sie würde niemanden finden … Sie ist ein Kind, ein Spatz, ein Springinsfeld … Sagt sie Ja, so wird sie ihren Platz gefunden haben, sie wird sich nett installieren können, wonach ihr der Sinn steht, und ihren Mann schon nach ein paar Tagen lieben … Er ist kein Beau, nein, mein Gott, nein, er ist kein Beau … aber er ist immerhin im höchsten Grade präsentabel, und man kann am Ende nicht fünf Beine auf ein Schaf verlangen, wenn du mir die kaufmännische Phrase zugut halten willst! … Wenn sie warten will, bis jemand kommt, der eine Schönheit und außerdem eine gute Partie ist – nun, Gott befohlen! Tony Buddenbrook findet immer noch etwas. Indessen andererseits … es bleibt ein Risiko, und, um wieder kaufmännisch zu reden, Fischzug ist alle Tage, aber nicht alle Tage Fangetag! … Ich habe gestern vormittag in einer längeren Unterredung mit Grünlich, der sich ja mit dem andauerndsten Ernste bewirbt, seine Bücher gesehen … er hat sie mir vorgelegt … Bücher, Bethsy, zum Einrahmen! Ich habe ihm mein höchstes Vergnügen ausgesprochen! Seine Sachen stehen für ein so junges Geschäft recht gut, recht gut. Sein Vermögen beläuft sich auf etwa 120 000 Thaler, was ersichtlich nur die vorläufige Grundlage ist, denn er macht jährlich einen hübschen Schnitt {123} … Was Duchamps sagen, die ich befragte, klingt auch nicht übel: Seine Verhältnisse seien ihnen zwar nicht bekannt, aber er lebe gentleman like, verkehre in der besten Gesellschaft, und sein Geschäft sei ein
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