Buddenbrooks
fördern, indem sie eine reiche und vornehme Heirat einging … Tom arbeitete dafür im Comptoir … Ja, die Art dieser Partie war sicherlich die richtige; aber ausgemacht Herr Grünlich … Sie sah ihn vor sich, seine {116} goldgelben Favoris, sein rosiges, lächelndes Gesicht mit der Warze am Nasenflügel, seine kurzen Schritte, sie glaubte seinen wolligen Anzug zu fühlen und seine weiche Stimme zu hören …
»Ich wußte wohl«, sagte die Konsulin, »daß wir ruhigen Vorstellungen zugänglich sind … haben wir vielleicht schon einen Entschluß gefaßt?«
»Oh bewahre!« rief Tony, und sie betonte das »Oh« mit plötzlicher Entrüstung. »Was für ein Unsinn, Grünlich zu heiraten! Ich habe ihn beständig mit spitzen Redensarten verhöhnt … Ich begreife überhaupt nicht, daß er mich noch leiden mag! Er müßte doch ein bißchen Stolz im Leibe haben …«
Und damit fing sie an, sich Honig auf eine Scheibe Landbrot zu träufeln.
3.
In diesem Jahre unternahmen Buddenbrooks auch während der Schulferien Christians und Claras keine Erholungsreise. Der Konsul erklärte, geschäftlich zu sehr in Anspruch genommen zu sein, und die schwebende Frage in Betreff Antoniens trug dazu bei, daß man abwartend in der Mengstraße verblieb. An Herrn Grünlich war, von der Hand des Konsuls geschrieben, ein überaus diplomatischer Brief abgegangen; aber der Fortgang der Dinge ward durch Tonys in den kindischsten Formen geäußerte Hartnäckigkeit behindert. »Bewahre, Mama!« sagte sie. »Ich kann ihn nicht ausstehen!« wobei sie die zweite Silbe des letzten Wortes mit höchstem Nachdruck betonte und das »st« ausnahmsweise nicht getrennt sprach. Oder sie erklärte mit Feierlichkeit: »Vater!« – sonst pflegte Tony »Papa« zu sagen – »Ich werde ihm mein Jawort niemals erteilen.«
Auf diesem Punkte wäre die Angelegenheit sicherlich noch lange Zeit stehen geblieben, wenn sich nicht, zehn Tage vielleicht nach jener Unterredung im Frühstückszimmer, – man stand in der Mitte des Juli – das Folgende ereignet hätte …
{117} Es war Nachmittag, ein blauer, warmer Nachmittag; die Konsulin war ausgegangen, und Tony saß mit einem Romane allein im Landschaftszimmer am Fenster, als Anton ihr eine Visitkarte überbrachte. Bevor sie noch Zeit gehabt, den Namen zu lesen, betrat ein Herr in glockenförmigem Gehrock und erbsenfarbenem Beinkleid das Zimmer; es war, wie sich versteht, Herr Grünlich, und auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck flehender Zärtlichkeit.
Tony fuhr entsetzt auf ihrem Stuhle empor und machte eine Bewegung, als wollte sie in den Eßsaal entfliehen … Wie war es möglich, noch mit einem Herrn zu sprechen, der um ihre Hand angehalten hatte? Das Herz pochte ihr bis in den Hals hinauf, und sie war sehr bleich geworden. Solange sie Herrn Grünlich weit entfernt wußte, hatten die ernsthaften Verhandlungen mit den Eltern und die plötzliche Wichtigkeit ihrer Person und Entscheidung ihr geradezu Spaß gemacht. Nun aber war er wieder da! Er stand vor ihr! Was würde geschehen? Sie fühlte schon wieder, daß sie weinen werde.
Mit raschen Schritten, die Arme ausgebreitet und den Kopf zur Seite geneigt, in der Haltung eines Mannes, welcher sagen will: Hier bin ich! Töte mich, wenn du willst! kam Herr Grünlich auf sie zu. »Welch eine Fügung!« rief er. »Ich finde
Sie
, Antonie!« Er sagte »Antonie«.
Tony, die, ihren Roman in der Rechten, aufgerichtet an ihrem Stuhle stand, schob die Lippen hervor und indem sie bei jedem Worte eine Kopfbewegung von unten nach oben machte und jedes dieser Wörter mit einer tiefen Entrüstung betonte, stieß sie hervor:
»Was – fällt – Ihnen – ein!«
Trotzdem standen ihr die Thränen bereits in der Kehle.
Herrn Grünlichs Bewegung war allzu groß, als daß er diesen Einwurf hätte beachten können.
»Konnte ich länger warten … Mußte ich nicht hierher zu {118} rückkehren?« fragte er eindringlich. »Ich habe vor einer Woche den Brief Ihres
lieben
Herrn Vaters erhalten, diesen Brief, der mich mit Hoffnung erfüllt hat! Konnte ich noch länger in halber Gewißheit verharren, Fräulein Antonie? Ich hielt es nicht länger aus … Ich habe mich in einen Wagen geworfen … Ich bin hierher geeilt … Ich habe ein paar Zimmer im Gasthofe Stadt Hamburg genommen … und da bin ich, Antonie, um von Ihren Lippen das letzte, entscheidende Wort in Empfang zu nehmen, das mich glücklicher machen wird, als ich es zu sagen vermag!«
Tony war erstarrt;
Weitere Kostenlose Bücher