Buddenbrooks
vernehmen und wieder durchschauerte ihn die schwärmerische Ehrfurcht seiner Generation vor menschlichen Gefühlen, die stets mit seinem nüchternen und praktischen Geschäftssinn in Hader gelegen hatte. Dieser Anfall aber währte nicht länger, als eine Sekunde. Hundertundzwanzigtausend Mark … wiederholte er innerlich und dann sagte er ruhig und fest:
»Antonie ist meine Tochter. Ich werde zu verhindern wissen, daß sie unschuldig leidet.«
»Was wollen Sie damit sagen …?« fragte Herr Grünlich, indem er langsam erstarrte …
{248} »Das werden Sie erfahren«, antwortete der Konsul. »Für jetzt habe ich meinen Worten nichts hinzuzufügen.« Und damit erhob er sich, stellte seinen Stuhl fest auf den Boden und wandte sich zur Thür.
Herr Grünlich saß stumm, steif, fassungslos, und sein Mund bewegte sich ruckweise nach beiden Seiten, ohne daß sich ihm ein Wort zu entringen vermochte. Herrn Kesselmeyers Munterkeit aber kehrte bei dieser abschließenden und endgültigen Bewegung des Konsuls zurück … ja, sie nahm Überhand, sie überschritt alle Grenzen und wurde fürchterlich! Das Binocle fiel von seiner Nase, die sich zwischen die Augen hinaufzog, während sein winziger Mund, in dem die beiden Eckzähne gelb und einsam ragten, zu zerreißen drohte. Seine kleinen, roten Hände ruderten in der Luft, seine Flaumfedern flatterten, sein gänzlich verschobenes und vor übermäßiger Fröhlichkeit verzerrtes Gesicht mit dem weißen, geschorenen Backenbart war zinnoberfarben …
»A-ahah!« schrie er, daß seine Stimme sich überschlug … »Das finde ich höchst … höchst spaßhaft! Aber Sie sollten es sich überlegen, Herr Konsul Buddenbrook, ein solch allerliebstes, ein solch köstliches Exemplar von einem Schwiegersöhnchen in den Graben zu werfen! … So etwas von Regsamkeit und Findigkeit giebt es auf Gottes weiter, lieber Erdenwelt nicht zum zweiten Male! Ahah! schon vor vier Jahren, als uns schon einmal das Messer an der Kehle stand … der Strick um den Hals lag … wie wir da plötzlich die Verlobung mit Mademoiselle Buddenbrook an der Börse ausschreien ließen, noch bevor sie wirklich stattgefunden hatte … jederlei Achtung! Na – hein, meine höchste Anerkennung …!«
»Kesselmeyer!« kreischte Herr Grünlich, machte krampfhafte Bewegungen mit den Händen, als ob er ein Gespenst von sich abwehrte, und lief in einen Winkel des Zimmers, woselbst er sich auf einen Stuhl setzte, das Gesicht in den Händen verbarg {249} und sich so tief bückte, daß die Enden seiner Favoris auf seinen Schenkeln lagen. Einige Male zog er sogar die Kniee empor.
»Wie haben wir das eigentlich gemacht?« fuhr Herr Kesselmeyer fort. »Wie haben wir es eigentlich angefangen, das Töchterchen und die achtzigtausend Mark zu ergattern? O-ho! das arrangiert sich! Wenn man auch nur für einen Sechsling Regsamkeit und Findigkeit besitzt, so arrangiert sich das! Man legt dem rettenden Herrn Papa recht hübsche Bücher vor, allerliebste, reinliche Bücher, in denen Alles aufs Beste bestellt ist … nur daß sie mit der rauhen Wirklichkeit nicht völlig übereinstimmen … Denn in der rauhen Wirklichkeit sind drei Viertel der Mitgift schon Wechselschulden!«
Der Konsul stand totenblaß an der Thür, den Griff in der Hand. Das Grauen rann ihm den Rücken hinunter. Befand er sich in dieser kleinen, unruhig beleuchteten Stube allein mit einem Gauner und einem vor Bosheit tollen Affen?
»Herr, ich verachte Ihre Worte«, brachte er mit geringer Sicherheit hervor. »Ich verachte Ihre wahnsinnigen Verleumdungen um so mehr, als sie auch mich treffen … mich, der ich meine Tochter nicht leichtfertiger Weise ins Unglück gebracht habe. Ich habe sichere Erkundigungen über meinen Schwiegersohn eingezogen … das Übrige war Gottes Wille!«
Er wandte sich, er
wollte
nichts mehr hören, er öffnete die Thür. Aber Herr Kesselmeyer schrie ihm nach:
»Ahah? Erkundigungen? Bei wem? Bei Bock? Bei Goudstikker? Bei Petersen? Bei Maßmann & Timm? Die waren ja alle engagiert! Die waren ja Alle ganz ungeheuer engagiert! Die waren ja Alle ungemein froh, daß sie durch die Heirat sicher gestellt wurden …«
Der Konsul schlug die Thür hinter sich zu.
{250} 9.
Im Speisezimmer hantierte Dora, die nicht ganz ehrliche Köchin.
»Bitte Madame Grünlich herunterzukommen«, befahl der Konsul.
»Mach' dich fertig, mein Kind«, sagte er, als Tony erschien. Er ging mit ihr in den Salon hinüber. »Mach' dich in aller Eile bereit
Weitere Kostenlose Bücher