Buddenbrooks
eingezogen war. Man ging behutsam umher und sprach nicht gerne »davon« … ausgenommen die Hauptperson der ganzen Angelegenheit selbst, die im Gegenteile mit Leidenschaft davon sprach und sich dabei wahrhaft in ihrem Elemente fühlte.
Tony bezog mit Erika im zweiten Stockwerk die Zimmer, die ehemals, zur Zeit der alten Buddenbrooks, ihre Eltern innegehabt hatten. Sie war ein wenig enttäuscht, als ihr Papa es sich keineswegs in den Sinn kommen ließ, ein eignes Dienstmädchen für sie zu engagieren, und sie durchlebte eine nachdenkliche halbe Stunde, als er ihr mit sanften Worten auseinander {253} setzte, es zieme sich vorderhand nichts Anderes für sie, als in Zurückgezogenheit zu leben und auf die Geselligkeit in der Stadt zu verzichten, denn wenn sie auch an dem Geschick, das Gott als Prüfung über sie verhängt, nach menschlichen Begriffen unschuldig sei, so lege doch ihre Stellung als geschiedene Frau ihr fürs Erste die äußerste Zurückhaltung auf. Aber Tony besaß die schöne Gabe, sich jeder Lebenslage mit Talent, Gewandtheit und lebhafter Freude am Neuen anzupassen. Sie gefiel sich bald in ihrer Rolle als eine von unverschuldetem Unglück heimgesuchte Frau, kleidete sich dunkel, trug ihr hübsches aschblondes Haar glatt gescheitelt wie als junges Mädchen und hielt sich für die mangelnde Geselligkeit schadlos, indem sie zu Hause mit ungeheurer Wichtigkeit und unermüdlicher Freude an dem Ernst und der Bedeutsamkeit ihrer Lage Betrachtungen über ihre Ehe, über Herrn Grünlich und über Leben und Schicksal im Allgemeinen anstellte.
Nicht Jedermann bot ihr Gelegenheit dazu. Die Konsulin war zwar überzeugt, daß ihr Gatte korrekt und pflichtgemäß gehandelt habe; aber sie erhob, wenn Tony zu sprechen begann, nur leicht ihre schöne weiße Hand und sagte:
»Assez, mein Kind. Ich höre nicht gern von dieser Affaire.«
Clara, erst zwölfjährig, verstand nichts von der Sache und Cousine Thilda war gleichfalls zu dumm. »Oh Tony, wie traurig!« war Alles, was sie langgedehnt und erstaunt hervorzubringen wußte. Dagegen fand die junge Frau eine aufmerksame Zuhörerin in Mamsell Jungmann, die nun schon 35 Jahre zählte und sich rühmen durfte, im Dienste der ersten Kreise ergraut zu sein. »Brauchst nicht Furcht haben, Tonychen, mein Kindchen«, sagte sie; »bist noch jung, wirst dich wieder verheiraten.« Übrigens widmete sie sich mit Liebe und Treue der Erziehung der kleinen Erika und erzählte ihr die selben Erinnerungen und Geschichten, denen vor fünfzehn Jahren die Kinder des Konsuls gelauscht hatten: von einem Onkel, im {254} Besonderen, der zu Marienwerder am Schluckauf gestorben war, weil er »sich das Herz abgestoßen« hatte.
Am liebsten und längsten aber plauderte Tony, nach dem Mittagessen oder morgens beim ersten Frühstück, mit ihrem Vater. Ihr Verhältnis zu ihm war mit einem Schlage weit inniger geworden, als früher. Sie hatte bislang, bei seiner Machtstellung in der Stadt, bei seiner emsigen, soliden, strengen und frommen Tüchtigkeit, mehr ängstliche Ehrfurcht, als Zärtlichkeit für ihn empfunden; während jener Auseinandersetzung aber in ihrem Salon war er ihr menschlich nahe getreten und es hatte sie mit Stolz und Rührung erfüllt, daß er sie eines vertrauten und ernsten Gespräches über diese Sache gewürdigt, daß er die Entscheidung ihr selbst anheimgestellt und daß er, der Unantastbare, ihr fast mit Demut gestanden, er fühle sich nicht schuldlos ihr gegenüber. Es ist sicher, daß Tony selbst niemals auf diesen Gedanken gekommen wäre; da er es aber sagte, so glaubte sie es, und ihre Gefühle für ihn wurden weicher und zarter dadurch. Was den Konsul selbst anging, so änderte er seine Anschauungsweise nicht und glaubte seiner Tochter mit verdoppelter Liebe ihr schweres Geschick entgelten zu müssen.
Johann Buddenbrook war in keiner Weise persönlich gegen seinen betrügerischen Schwiegersohn vorgegangen. Zwar hatten Tony und ihre Mutter aus dem Verlaufe einiger Gespräche erfahren, zu welch unredlichen Mitteln Herr Grünlich gegriffen hatte, um 80 000 Mark zu erlangen; aber der Konsul hütete sich wohl, die Sache der Öffentlichkeit oder gar der Justiz zu übergeben. Er fühlte in seinem Stolz als Geschäftsmann sich bitter gekränkt und verwand schweigend die Schmach, so plump übers Ohr gehauen worden zu sein.
Jedenfalls strengte er, sobald der Konkurs des Hauses B. Grünlich erfolgt – der übrigens in Hamburg verschiedenen Firmen nicht unerhebliche
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