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Buddenbrooks

Buddenbrooks

Titel: Buddenbrooks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Verluste bereitete – mit Entschlos {255} senheit den Scheidungsprozeß an … und dieser Prozeß war es hauptsächlich, der Gedanke, daß sie, sie selbst den Mittelpunkt eines wirklichen Prozesses bildete, der Tony mit einem unbeschreiblichen Würdegefühl erfüllte.
    »Vater«, sagte sie; denn in solchen Gesprächen nannte sie den Konsul niemals »Papa«. »Vater, wie geht unsere Sache vorwärts? Du meinst doch, daß Alles gut gehen wird? Der Paragraph ist vollkommen klar; ich habe ihn genau studiert! ›Unfähigkeit des Mannes seine Familie zu ernähren …‹ Die Herren müssen das einsehen. Wenn ein Sohn da wäre, würde Grünlich ihn behalten …«
    Ein anderes Mal sagte sie:
    »Ich habe noch viel über die Jahre meiner Ehe nachgedacht, Vater. Ha! also
deshalb
wollte der Mensch durchaus nicht, daß wir in der Stadt wohnten, was ich doch so sehr wünschte. Also
deshalb
sah er es niemals gern, daß ich überhaupt in der Stadt verkehrte und Gesellschaften besuchte! Die Gefahr war dort wohl größer, als in Eimsbüttel, daß ich auf irgend eine Weise erfuhr, wie es eigentlich um ihn bestellt war! … Was für ein Filou!«
    »Wir sollen nicht richten, mein Kind«, erwiderte der Konsul.
    Oder sie begann, als die Ehescheidung ausgesprochen war, mit wichtiger Miene:
    »Du hast es doch schon in die Familienpapiere eingetragen, Vater? Nein? O, dann darf ich es wohl thun … Bitte, gieb mir den Schlüssel zum Sekretär.«
    Und emsig und stolz schrieb sie unter die Zeilen, die sie vor vier Jahren hinter ihren Namen gesetzt: »Diese Ehe ward anno 1850 im Februar rechtskräftig wieder aufgelöst.«
    Dann legte sie die Feder fort und dachte einen Augenblick nach.
    »Vater«, sagte sie, »ich weiß wohl, daß dies Ereignis einen Flecken in unserer Familiengeschichte bildet. Ja, ich habe {256} schon viel darüber nachgedacht. Es ist genau, als wäre hier ein Tintenklex in diesem Buche. Aber sei ruhig … es ist meine Sache, ihn wieder fortzuradieren! Ich bin noch jung … findest du nicht, daß ich noch ziemlich hübsch bin? Obgleich Madam' Stuht, als sie mich wiedersah, zu mir sagte: O Gott, Madam' Grünlich, wie sind Sie alt geworden! Nun, man kann unmöglich sein Lebtag eine solche Gans bleiben, wie ich vor vier Jahren war … das Leben nimmt einen natürlich mit … Kurz, nein, ich werde mich wieder verheiraten! Du sollst sehen, Alles wird durch eine neue vorteilhafte Partie wieder gut gemacht werden! Meinst du nicht?«
    »Das steht in Gottes Hand, mein Kind. Aber es schickt sich durchaus nicht, jetzt über solche Dinge zu sprechen.«
    Im Übrigen begann Tony um diese Zeit, sich sehr oft der Redewendung »Wie es im Leben so geht …« zu bedienen, und bei dem Worte »Leben« hatte sie einen hübschen und ernsthaften Augenaufschlag, welcher zu ahnen gab, welch tiefe Blikke sie in Menschenleben und –Schicksal gethan …
    Der Tisch im Eßsaale vergrößerte sich noch mehr, und Tony erhielt neue Gelegenheit, sich auszusprechen, als Thomas im August dieses Jahres von Pau nach Hause zurückkehrte. Sie liebte und verehrte diesen Bruder, der ja auch damals bei der Abreise von Travemünde ihren Schmerz gekannt und gewürdigt hatte und in dem sie den zukünftigen Firmenchef, das einstmalige Familienhaupt erblickte, von ganzem Herzen.
    »Ja, ja«, sagte er, »wir Beide haben schon allerhand durchgemacht, Tony …« Dann zog er eine Braue empor, ließ die russische Cigarette in den anderen Mundwinkel wandern und dachte wahrscheinlich an das kleine Blumenmädchen mit dem malayischen Gesichtstypus, die vor kurzer Zeit den Sohn ihrer Brotgeberin geheiratet hatte und nun auf eigene Hand das Blumengeschäft in der Fischergrube fortführte.
    Thomas Buddenbrook, noch ein wenig blaß, war eine auf {257} fallend elegante Erscheinung. Es schien, daß diese letzten Jahre seine Erziehung durchaus vollendet hatten. Mit seiner über den Ohren zu kleinen Hügeln zusammengebürsteten Frisur, mit seinem nach französischer Mode sehr spitz gedrehten und mit der Brennzange wagerecht ausgezogenen Schnurrbart und seiner untersetzten, ziemlich breitschulterigen Gestalt machte seine Figur einen beinahe militärischen Eindruck. Aber das bläuliche, allzu sichtbare Geäder an seinen schmalen Schläfen, von denen das Haar in zwei Einbuchtungen zurücktrat, sowie eine leichte Neigung zum Schüttelfrost, die der gute Doktor Grabow vergebens bekämpfte, deutete an, daß seine Konstitution nicht besonders kräftig war. Was Einzelheiten der

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