Buh: Mein Weg zu Reichtum, Schönheit und Glück (German Edition)
sich nicht im Klaren darüber, warum. Der ganze Schlamassel hatte seinen Anfang genommen, als er sich hatte überreden lassen, diesen Castorf zu engagieren. Mit ihm waren diese beiden Typen in sein hübsches Jugendstil-Refugium eingedrungen. Dabei war er gewarnt worden. Nichts als Ärger wirst du bekommen, Genosse Schröder. Und so kam es dann ja auch.
»Musis Sacrum« prangt am Portal des Theaters. Heilige Scheiße, denkt er, nichts ist denen heilig. Goethe nicht, das Theater nicht, unser Staat nicht.
Der technische Leiter, ein alter Stadttheaterhase, steht vor dem Pappbaum und verhandelt. »Wie lange willst du denn da oben bleiben?«
»Bis die Kündigung von Uwe wieder zurückgenommen ist.«
»So lange können wir nicht warten.« Er mag diesen Heißsporn da oben, also schüttelt er ihn nicht einfach runter, wie er es könnte, sondern buhlt um Verständnis. »Ich muss die Bühne für die Abendvorstellung klarmachen.«
Der junge Mann auf dem Baum schweigt. Er kann jetzt nicht einfach so runterkommen vom Baum, die Aktion muss ihr Ende finden, ein würdiges, das versteht auch der alte Hase. Von ihm sagt man, er sei bei der Stasi, aber das heißt es ja von allen, die irgendeine leitende Funktion haben. Dem Baumbesetzer jedenfalls ist das egal. Er kann sich nicht die ganze Zeit darum kümmern, wer bei der Stasi ist. Irgendwie findet er die Stasi sowieso überbewertet. Unter seinen Freunden kennt er jedenfalls niemanden, der diesen Staat mag. Ihm tun die Leute, die für die Stasi arbeiten, sogar ein bisschen leid. Eine richtige Knochenmühle muss das ja sein. Was die alles durchackern müssen. Telefonbuchdicke Akten voller Meckereien, stellt er sich vor. Das muss doch auf das Selbstbewusstsein der Genossen drücken, wenn nicht einer mal Partei ergreift für die Sache, an die man hier glauben soll. Nur immer Negatives. Das deprimiert doch auf die Dauer, das macht schlechte Laune, vor allem, wenn’s regnet. Außerdem gibt es solche und solche bei der Stasi, denkt er, weil er ja gerade Zeit hat nachzudenken.
Zum Beispiel Frau Diener. Die ist eine typische Nachbarin, alt, alleine, neugierig. Von der kann man wirklich sagen, dass die ihr Hobby zum Beruf gemacht hat. Immer wenn er die Treppe hochkommt, egal zu welcher Jahreszeit, öffnet sie die Wohnungstür einen Spalt und macht keinen Hehl daraus, dass sie darauf lauert, endlich mal was Meldenswertes zu sehen. Aber außer einem jungen, ziemlich schmuddeligen und meistens betrunkenen Schauspieler des Stadttheaters Gera, der spät nach Hause kommt und, Zigarette in den Mundwinkeln, die Stufen hinauf-ächzt, kriegt sie nichts vor ihre dicken Brillengläser, was Aufregung oder sonst irgendwie Action verspricht.
Einmal allerdings hat sie ihren großen Tag. Sie kommen in einem Trabant. Drei kleine Männer mittleren Alters mit ausdruckslosen Mienen und dem Dialekt aus dem Großraum Sachsen. Sie zeigt ihnen, wo der Gesuchte wohnt, was eigentlich unnötig ist, denn der Name steht ja groß an dem Klingelschild: Haußmann.
Sein Fenster steht offen, die Feuerwehr wird um Amtshilfe gebeten. Die Männer steigen durch das Fenster in die Wohnung. Aber sie finden nichts, keinerlei Hinweise, wo sich der Verdächtige aufhalten könnte.
Tatsächlich ist er mehrere Tage von der Stasi gesucht worden. Das muss man sich mal vorstellen, denkt er, in der Pappbaumkrone sitzend: gesucht und nicht gefunden, in der DDR . Er sieht sie richtig vor sich im Stasi-Hauptquartier, die Männer in ihren Synthetik-Oberhemden und mit den Makarows unter den verschwitzten Achseln, wie sie nachdenklich vor einer riesigen DDR -Landkarte stehen und emsig Planquadrat um Planquadrat abstecken.
Seitdem kann er die Jungs sowieso nicht mehr ernst nehmen. Die hätten doch nur auf den Spielplan schauen müssen, um zu sehen, dass er sich in Potsdam aufgehalten hat, beim Festival »Theater der Jugend«, mit Castorfs Inszenierung »Clavigo« von Goethe. Er als Carlos 1 und sein Freund Uwe als Carlos 2.
5 HEUTE: CASTING IN DER JÄGERKLAUSE
HEUTE: CASTING IN DER JÄGERKLAUSE
5 NATÜRLICH WAREN SIE AUFGEREGT. Es war Winter und es schneite wie Sau. Er trug den braunen Fischgrätenwintermantel seines Großvaters und Uwe einen Parka. Uwe war das Gepäck schon am Bahnhof geklaut worden. Nur den Akkordeonkoffer hatte er noch bei sich, als die beiden die Kantine betraten und diesen für Neuankömmlinge reservierten, desinteressiert wirkenden Blick der Geraer Theaterbeschäftigten ernteten. Es war nur ein kurzes Aufblicken,
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