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Buh: Mein Weg zu Reichtum, Schönheit und Glück (German Edition)

Buh: Mein Weg zu Reichtum, Schönheit und Glück (German Edition)

Titel: Buh: Mein Weg zu Reichtum, Schönheit und Glück (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leander Haußmann
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begleitet von einem kaum wahrnehmbaren Aussetzen der Geräusche.
    Hinten saß Castorf mit einer Gruppe von Schauspielern. Mit Sylvia Rieger, seiner damaligen Freundin, und mit Norbert Stöß, dem Schauspieler, der ein paar Monate später wegen nächtlichen Beschriftens der Theaterwände mit politischen Parolen verhaftet und ins Gefängnis geschickt wurde, weil er nicht mit den Schriftexperten der Stasi gerechnet hatte, natürlich auch nicht mit der emsigen Kooperation von Intendant Schröder und anderen fleißigen Bienchen des Theaters. Jedenfalls umgab diesen Tisch in der holzgetäfelten Kantine bereits die Aura des Unvergänglichen.
    Die beiden glühenden Theatereleven setzten sich und versuchten sich in der Rolle der Alten. Die Mittagspause war zu Ende und die Kantine leerte sich.
    Der Castorf-Tisch blieb. Jemand holte noch mal Kaffee, den letzten Kaffee vor dem ersten Bier. Irgendetwas wurde gemurmelt, Sylvia lachte.
    »würden-sie-rolle-carlos-in-clavigo-bei-castorf-übernehmen? kommen-nach-gera-erforderlich!«, hatte in dem Telegramm gestanden, das jeder der beiden bekommen hatte. Doch weder auf eine Probe noch auf ein Vorsprechen der beiden hatte hier jemand Lust, am allerwenigsten Frank Castorf. 13:30 Uhr erhob man sich, ächzend und als trüge man die ganze Last der verkorksten DDR -Theaterlandschaft auf den Schultern, um zur Probebühne zu schlurfen; aber auch, um genau um 14 Uhr, zum offiziellen Probenende, wieder in der Kantine zu erscheinen. Das erste Bier tauchte auf.
    Uwe und er warteten immer noch und blickten, wie es sich für zwei junge, aufstrebende Studenten der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch gehörte, erwartungsvoll dem Vorsprechen entgegen. Mit großen Augen starrten sie auf Castorf, gaben aber gleichzeitig den lässigen Schauspieler. Sie wurden von Castorf freundlich abgewehrt. »Wir können uns ja heute Abend in der ›Jägerklause‹ treffen.«
    Die »Jägerklause« war das Restaurant auf der anderen Seite des Theaters. Ein Theaterrestaurant, das nicht etwa »Kulisse« oder »Shakespeare« oder »Schiller« oder »Goethe«, sondern »Jägerklause« hieß, war in den Augen der beiden Theatereleven nicht nur ziemlich originell, sondern auch, wie sich später herausstellte, typisch für die Hemdsärmeligkeit von Gera, wo die Stasidichte höher war als in jeder anderen Stadt, die sie kannten. Ganz nebenbei war die »Jägerklause« berühmt für ihr Jägerschnitzel und für ihre eloquenten und aufmerksamen Kellner, die der Oper mehr zugewandt waren als dem Schauspiel (es war ein Fünfspartentheater). Und die ihn, den sie gewiss nicht zu Unrecht für arrogant hielten, später bezichtigten, seine Füße im Waschbecken der Toiletten gewaschen zu haben, und ihn deshalb mit einem Lokalverbot bedachten, was in Gera einer gesellschaftlichen Ächtung gleichkam, schon alleine deshalb, weil die Auswahl der Lokalitäten – wie in jeder anderen Provinzstadt der DDR , aber vor allem in Gera – nicht sehr groß war.
     
    In dieser gastronomischen Einrichtung saßen die beiden also und warteten auf Castorf. Sie waren gefangen in den immer wiederkehrenden Diskussionen über Theater, Kunst und Politik, während draußen sanft und kontinuierlich der Schnee niederging, der den Straßenverkehr, den Zugverkehr und die Heizungen des Landes für Wochen lahmlegen würde. Natürlich waren die beiden betrunken, als Castorf erschien.
    Was die beiden noch vor sich hatten (Parchim), hatte Castorf schon hinter sich (Anklam). In Anklam, hoch im Norden, wie Parchim nahe Schwerin, jagten die Einwohner nachts ihre Schauspieler wie die Australier ihre Kängurus. In Wellen waren die Gerüchte über die Schauspieltruppe von Castorf an die Schauspielschule in Berlin gedrungen. Und hinter vorgehaltener Hand waren bereits Legenden entstanden, die, Heldenliedern gleich, noch heute gesungen werden.
    Castorf, damals Mitte dreißig, in Jeans und blauem Marine-Strickpullover mit Reißverschluss am V-Ausschnitt, trug langes Haar, eine vergoldete Nickelbrille und einen ironischen Ausdruck im Gesicht, der den beiden sofort gefiel.
    Auch der Meister schien eine Schwäche für die beiden zu entwickeln. »Spielst du Akkordeon?«, fragte Castorf und deutete auf den Akkordeonkoffer neben Uwes Stuhl.
    Uwe nickte.
    »Und ich«, Haußmann zückte das kleine zerbeulte Instrument, »spiele Harp, BluesHarp.«
    Das Schweigen, das dann dem Gesagten folgte, das Biertrinken, das Sackenlassen nahmen vorweg oder ließen zumindest ahnen, dass

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