Buh: Mein Weg zu Reichtum, Schönheit und Glück (German Edition)
dort angekommen, wo er nach den Landkarten der Funktionäre hatte hinführen sollen. Die Menschen da draußen sollten teilhaben an der Kultur, das war die Idee des Bitterfelder Weges.
Jede Verschiebung des Premierentermins hätte jedenfalls das komplexe und filigrane Planungsgewebe zerstört. So standen wir also bei morgendlichem Vogelgezwitscher im Tau des Waldes wie die Handwerker im »Sommernachtstraum« und dachten nach. Dann öffnete einer eine Flasche eines Getränks, das sich Halb und Halb nannte, da war es 9.30 Uhr. Enttäuscht sah der Chefdramaturg auf die Motorsäge, die er sich als Einziger beschafft, für die er als Einziger eine Genehmigung und auf die er sich so gefreut hatte. Um 13.30 Uhr waren alle sehr betrunken und um 15 Uhr zurück im Theater.
In jener Probe, die die letzte in Henri Wieses Leben als Regisseur werden sollte, ging es um eine Szene, in der eine neue Figur eingeführt wird: ein alter Freund Tesmans, des schlappen Ehemanns von Hedda Gabbler, ein wahrhaftiger Künstler, der im Gegensatz zum schlappen Ehemann ein wirklich gutes Buch geschrieben hat. Hedda wird, soweit ich mich erinnere, das Manuskript im vierten Akt verbrennen, bevor sie sich im fünften erschießt. Dieser dunkle Charakter, der der Story einen neuen »Beat« gibt, tritt am Ende des ersten Aktes auf und bringt die scheinbare bürgerliche Ordnung durcheinander. So jedenfalls sahen wir es damals. Er sollte von Anfang an eine Gefahr darstellen, die von den übrigen Protagonisten als solche wahrgenommen wird.
Dazu muss man wissen, dass wir damals unsere Aussagen gerne doppelt und dreifach unterstrichen. Ich weiß nicht, ob das heute noch so ist bei den jungen Schauspielern und Regisseuren. Bei uns jedenfalls war es so. Eines unserer Stilmittel, das sich leider bis heute erhalten hat, war die Improvisation; damals, wie vorher und nachher und heute noch, sehr modern.
Wahrscheinlich hatte Uwe die Idee, ich weiß es nicht mehr. Hinter der Bühne stand ein Pappkarton. Er war gerade so groß, dass Uwe und sein Akkordeon hineinpassten. Also setzte er sich rein, ließ ein Geschenkband mit großer Schleife drum herumwickeln und sich mit einer Sackkarre auf die Bühne fahren. Dort öffnete ich, zu diesem Zeitpunkt noch Tesman, Hedda Gabblers schlapper Ehemann, gemeinsam mit Hedda den Karton – und siehe da, der Freund aus alten Tagen hatte sich selbst als Geschenk im Hause Gabler empfohlen. Uwe begann zart mit dem Akkordeon »Paint It Black« zu spielen. Was haben wir an diesem Vormittag alles hervorgebracht! Ich erinnere mich, dass wir improvisierten wie Sau: Wir bewarfen Uwe mit Gegenständen, bespritzten ihn mit Wasser, traten ihn, boxten ihn, stießen ihn von der Rampe, brüllten schmutzige Worte. So ging das vier Stunden lang, bis die Spieler selig erschöpft waren.
»Und? Was hast du gesehen?«, fragte Uwe.
Henri antwortete: »Arschlöcher!«
Ich brüllte: »Jetzt kannst du meinen Arsch von hinten sehen«, und ging nach Hause.
Uwe kam mit. Alle gingen.
Natürlich hatte Henri Wiese recht! Aber was nutzte es ihm?
3 HOFFENTLICH PRIVATVERSICHERT
HOFFENTLICH PRIVATVERSICHERT
3 DER ERSTE, DER MIR BEGEGNET, ist ein Borderliner. »Hallo Arschloch«, brüllt er mir entgegen, »hoffentlich privat versichert!« Das Auto, das mich hierhergebracht hat, fährt weg. Mein Vater sitzt am Steuer. »Wenn du nach fünf Minuten nicht zurück bist, haue ich ab«, hat er gesagt. Typisch Papa. Nun schluckt ihn der Wald.
Auf dem Weg hierher haben wir wenig gesprochen. Am Bahnübergang gab mein Vater ein paar Autogramme, er war erkannt worden, irgendwo da draußen, in einer ländlichen Gegend, das freute ihn. Ich spürte seinen Blick, als ich dieses Haus betrat, das sich zwischen Kiefern, Fichten und Birken verbarg und zu dem kein Wegweiser führte.
Nun stehe ich vor einem strengen Herrn, der mir in die Pupille leuchtet. Komisch, denke ich, das habe ich doch gerade verfilmt, mit Christoph Waltz, Detlef Buck und Christian Ulmen, fehlt nur noch »Depeche Mode«.
»Sind Sie nicht dieser Regisseur, warten Sie mal, haben Sie nicht diesen Ostalgie-Film gemacht?«
Ich nicke, zu mehr bin ich nicht imstande.
»Warum sind Sie hier?«, fragt mich der Mann.
»Ich weiß nicht«, antworte ich.
»Sie haben sich doch selbst eingewiesen«, bohrt der Mann nach. »Sie müssen doch wissen, warum Sie hier sind.«
Ich zucke mit den Schultern.
»Na, dann zeig ich Ihnen mal Ihr Zimmer.« Der Mann fasst mich vorsichtig am Ellenbogen. »Der
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