Burgfrieden
Studium zu Ende war, den Rücken gekehrt. Aber als PR-Profi konnte sie ihnen zweifelsfrei von Nutzen sein. So waren sie also heute Vormittag in Salzburg in den Zug gestiegen und schließlich in Bozen und hier in der »Villa Wasserschloss«, so der Name des inmitten eines romantischen Gartens an der Talfer gelegenen Anwesens, gelandet. Lenz, der schon vorausgefahren war, um alles vorzubereiten, wollte direkt vor Ort zu ihnen stoßen.
»Herr Professor, bittschön.« Nochmaliges Klopfen und die Stimme Maria Koflers, Haushälterin und gute Seele der Villa Wasserschloss, riss ihn aus seinen Gedanken. Er schwang, so rasch ihm dies in seinem immer noch etwas benommenen Zustand möglich war, die Beine auf den Boden, schlüpfte in seine Hausschuhe und öffnete die Tür. »Tschuldigen, der Herr Hofer wär’ jetzt da.« Arthur strich sich die schon ziemlich ergrauten Haare in die Stirn und folgte Maria in die Lobby.
*
Jenny war in Bozens Zentrum angelangt. Das Archäologiemuseum, vor dem ein Ötzi-Plakat für eine Sonderausstellung über den »Mann aus dem Eis« warb, und den Obstmarkt, eine weitere touristische Attraktion der Stadt, hatte sie schon hinter sich gelassen. Nun befand sie sich in den berühmten Portici, den Lauben. Die Gasse war im Mittelalter und noch lange Zeit danach das Handelszentrum Bozens gewesen, wo sich die Kaufleute aus dem Norden und dem Süden getroffen hatten, um miteinander Geschäfte zu machen. Unter den Laubengängen, daher der Name, wurde während der viermal im Jahr stattfindenden Messen die Ware ausgelegt und war so vor Wind und Wetter geschützt. Heute gaben sich dort alteingesessene Bozner Betriebe wie Gasser, Thaler und Kogler ein – wohl nicht ganz freiwilliges – Stelldichein mit den Shops internationaler Luxusmarken vom Rang eines Emporio Armani, eines Max Mara oder einer Luisa Spagnoli.
Jenny verlangsamte ihr Tempo. Ein Boutiquebesuch war zwar nicht nur wegen ihrer inadäquaten Kleidung tabu. Auch die Preise überstiegen Jennys Schmerzgrenze. Zumindest einen Blick in die Auslagen wollte sie riskieren. Während sie die ausgestellten Modelle betrachtete, ließ sie sich noch einmal das Telefonat mit Arthur Kammelbach durch den Kopf gehen. Es war noch keine Woche her, dass der Professor sie in ihrer Agentur angerufen und gefragt hatte, ob sie ihn nach Bozen begleiten wolle. Zunächst war sie aus allen Wolken gefallen. Zugegeben, sie war auch nach ihrer Promotion mit ihrem Doktorvater, der nach wie vor eine Art Mentor war, in Kontakt geblieben. Aber dieses Angebot kam doch etwas überraschend. Arthur hatte ihr Zögern offenbar bemerkt und sie rasch aufgeklärt: Er stelle gerade eine Expertengruppe zusammen, deren Aufgabe es sei, die Echtheit einer Handschrift, die man auf Schloss Runkelstein gefunden hatte, zu überprüfen.
»Wenn das Ergebnis positiv ist – und daran hege ich kaum mehr Zweifel – wollen wir den Fund in einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit vorstellen. Ich würde mich sehr freuen, wenn du als PR-Profi uns dabei unterstützen könntest.«
Das war typisch Professor Kammelbach: Er schaute auf seine ehemaligen Doktorkinder wie ein Hirte auf seine Schäflein, stand ihnen mit Rat und Tat zur Seite, auch noch lange nachdem sie – wie er es nannte – »aus dem Elfenbeinturm der Wissenschaft ins wahre Leben ausgeflogen« waren. Jenny hatte sein Angebot, ohne lange nachzudenken, angenommen. Ein wenig Abstand vom Agenturalltag würde ihr gut tun. Kurz entschlossen hatte sie ihre Aufgaben an ihren Kollegen delegiert – sie war ja schließlich die Chefin – und die Koffer gepackt. Nun befand sie sich gemeinsam mit Arthur und weiteren Mitgliedern der insgesamt siebenköpfigen Delegation in Bozen. Heute Abend würde es ihnen zu Ehren einen Empfang auf Runkelstein geben. Für die kommenden Tage stand dann die Überprüfung der Handschrift auf dem Programm.
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Jenny war fast am Ende der Laubengasse angekommen. War das nicht Xenia Schmied-Schmiedhausen, die da gerade die Athesia Buchhandlung betrat? Die Dozentin, die sie noch von Studienzeiten her kannte, schien immer noch der gleiche Bücherwurm wie damals zu sein. Schon im Zug nach Bozen hatte sie ihre Nase fast die ganze Zeit in irgendwelche Unterlagen gesteckt. Eine Unterhaltung mit ihr war kaum möglich gewesen. Wenn überhaupt, dann hatte sich Schmied-Schmiedhausen an den Professor gewandt, um seine Meinung zu irgendeiner wissenschaftlichen These einzuholen. Der wiederum zeigte wenig Lust, sich
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