Aber bitte mit Sake
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Gericht: Onigiri
Japaner des Tages: Kyohei – der besonnene Pilot
Place to be: Über den Wolken
Erkenntnis: Alles bleibt anders
I ch blicke in die Tiefe. Tausende von Metern unter mir in der Finsternis liegt Russland. Ab und zu fliegen wir über eine größere Stadt, deren Lichter durch die kalte Januarnacht zu uns heraufschimmern. Es ist ruhig im Cockpit des Airbus 380. Ich höre mein Herz klopfen. Tief einatmen, Dana! , denke ich und versuche krampfhaft, aufrecht zu stehen, obwohl ich sicher bin, dass meine Beine in Kürze versagen.
»Bei Tageslicht sieht man von hier aus die Erdkrümmung.« Kyohei, der holländisch-japanische Pilot, deutet mit der Hand aus dem Cockpit hinaus auf einen unbestimmten Punkt in der Dunkelheit. Ich versuche das Bild zu verscheuchen, das vor mir auftaucht: Ein einsames Flugzeug, das in schwindelerregender Höhe den Erdball umfliegt. Vor lauter Flugangst fällt mir das Atmen schwer. Rationale Erklärungs- und Beruhigungsversuche sind nutzlos. Das Ausgeliefertsein, der Kontrollverlust, das Wissen, dass ich keinen Einfluss darauf habe, was geschieht, all das beunruhigt mich. Kyohei wirft mir einen kurzen Seitenblick zu.
»Du kannst dich ruhig hinsetzen und einen Moment bleiben.« Das lasse ich mir nicht zweimal sagen und gleite auf den freien Platz hinter ihm. Kyohei beginnt in aller Seelenruhe, mir die technischen Geräte zu erklären.
Ich hasse Langstreckenflüge. Aber gegen meine Chefin Carla, die in der Frühlingsausgabe unseres Frauenmagazins Komplizin einen Japan-Schwerpunkt bringen will, bin ich machtlos. Eigentlich sollte unsere chinesische Redakteurin Mei-Ling – normalerweise für den Beauty-Bereich zuständig – nach Japan reisen, da sie von uns allen den größten Asienbezug hat. Eine Woche vor Abflug stolperte Mei-Ling allerdings unglücklich über Karl, ihren Riesenpudel, und brach sich ein Bein. Es folgte eine außerplanmäßige Redaktionskonferenz, bei der wir uns mit ratlosen Gesichtern gegenübersaßen.
»Ihr Lieben«, eröffnete Carla die Sitzung. »Mei-Ling hat sich die Haxe gebrochen und ist ans Bett gefesselt. Das heißt, wir müssen uns etwas Neues für unsere Frühlingsausgabe einfallen lassen. Wer hat eine Idee?« Sie zückte ihren Kugelschreiber, ein Zeichen für uns, dass uns jetzt bitte etwas einfallen sollte.
»Also …«, brach ich zögernd das Schweigen, »wir könnten trotzdem Sushi-Rezepte und Deko-Tipps mit japanischem Touch bringen, frei nach dem Motto: Holt euch das Kirschblütenfest nach Hause.«
»Ohne eine Reportage ist das langweilig!« Ellen, Fotografin bei der Komplizin und meine beste Freundin, schüttelte den Kopf. »Sushi und Sashimi sind irgendwie passé. Inzwischen bekommt man die japanische Küche sogar schon in Itzehoe und Idar-Oberstein. Und einen Kirschblütenschwerpunkt ohne Japan im restlichen Heft zu thematisieren, macht auch wenig Sinn.«
»Also, ich finde, wir sollten das Japan-Special retten!« Annika aus der Moderedaktion schaute unzufrieden und zupfte an ihrem Alexander-Wang-Outfit. »Ich hatte schon so gute Ideen für die Fotostrecke.«
»Sehe ich genauso!« Der schwule Georg, der für die Horoskope zuständig ist, schlug sich natürlich auf ihre Seite. »Ich würde statt dem gängigen Horoskop auch lieber die Blutgruppen-Analyse machen, an die sie in Japan statt der Sternzeichen glauben. Das ist wirklich originell! Kann nicht einfach jemand anderes aus der Redaktion fahren?«
»Na gut.« Carla blickte in die Runde. »Wer fliegt am Samstag für eine Woche nach Tokio, um von dort nach Yokohama zu fahren und dann für sechs Wochen gemeinsam mit tausend Japanern auf einem Kreuzfahrtschiff den Pazifik zu überqueren?« Die Reportage über das Peaceboat, eine japanische Nicht-Regierungsorganisation, die im Namen des Weltfriedens dreimal pro Jahr den Erdball umrundet, war das Herzstück der Konzeption. Denn nirgendwo kann man der japanischen Volksseele so nahe kommen, wie in diesem schwimmenden Mikrokosmos. Dort mitfahren wollte aber außer Mei-Ling anscheinend niemand von uns. In der folgenden Viertelstunde brachten alle Anwesenden plausible Gründe vor, weshalb sie in Berlin für einen so langen Zeitraum unentbehrlich waren.
»Was ist denn mit Dana?« Es war natürlich Tessa, Sekretärin und Gemeindeposaune, die schließlich den unsäglichen Vorschlag machte, mich auf Reisen zu schicken. »Du hast keine Familie, dein Freund lebt in Italien, was hält dich schon hier?« Georg, einziger Mann unserer Redaktion,
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