Byrne & Balzano 1: Crucifix
in seine Träume Einzug gehalten hatte.
Gideon Pratt hatte im Fairmount Park ein fünfzehnjähriges Mädchen namens Deirdre Pettigrew vergewaltigt und ermordet. Und die Polizei hatte fast schon die Hoffnung aufgegeben, den Fall noch zu lösen. Es war das erste Mal, dass Pratt eines seiner Opfer getötet hatte. Byrne hatte gewusst, dass es nicht einfach würde, den Mörder in eine Falle zu locken. Der Detective hatte unzählige Stunden seiner Freizeit und viele schlaflose Nächte in Erwartung genau dieses Augenblicks geopfert.
Und jetzt, da man die Morgendämmerung in der Stadt der Brüderlichen Liebe nur erahnen konnte und Kevin Byrne vortrat, um Pratt den ersten Schlag zu verpassen, bekam er seine Belohnung.
Zwanzig Minuten später befanden sie sich in der Notaufnahme des Jefferson Hospitals. Gideon Pratt stand in der Mitte des Raumes zwischen Byrne und einem Arzt namens Avram Hirsch.
Pratt hatte eine Wunde von der Größe einer verfaulten Pflaume auf der Stirn, eine blutige Lippe, einen lila Fleck auf der rechten Wange und ein gebrochenes Nasenbein. Sein rechtes Auge war stark angeschwollen. Getrocknetes Blut hatte die vordere Seite seines ehemals weißen Hemdes dunkelbraun gefärbt.
Als Byrne den Mann betrachtete – gedemütigt, erniedrigt und in den Händen der Polizei –, dachte er an seinen Partner in der Mordkommission, ein hilfloses Wrack namens Jimmy Purify. Jimmy hätte das gefallen. Jimmy liebte diese Typen, von denen es in Philly nur so zu wimmeln schien. Die Straßenprofessoren, die Junkiepropheten, die Nutten mit Herzen aus Stein.
Am meisten aber liebte es Detective Jimmy Purify, die miesesten der miesen Typen zu jagen. Je schlimmer sie waren, desto mehr genoss Jimmy die Jagd.
Und es gab keinen schlimmeren Hundesohn als Gideon Pratt.
Sie hatten Pratt dank eines ausgedehnten Informantennetzes aufgespürt, waren ihm durch die dunkelsten Gassen von Philadelphias Unterwelt, durch Sexclubs und Kinderporno-Ringe gefolgt. Sie hatten ihn mit demselben Elan, derselben Konzentration und derselben Besessenheit gejagt, mit der sie vor vielen Jahren die Polizeiakademie verlassen hatten.
Es war genauso gelaufen, wie Jimmy Purify es liebte.
Bei diesen Aktionen fühlte er sich immer wie ein Kind, sagte er.
In seiner aktiven Zeit wurde Jimmy zweimal angeschossen, einmal überfahren und so oft verprügelt, dass man es nicht mehr zählen konnte, aber es waren seine drei Bypässe, die ihn schließlich in die Knie zwangen. Während Kevin Byrne sich Gideon Pratt vorgeknöpft und ihm mit wachsender Begeisterung die Fresse poliert hatte, lag James »Clutch« Purify auf der Intensivstation des Mercy Hospitals. Wie die Schlangen auf dem Haupt der Medusa ragten Schläuche und Infusionen aus seinem Körper hervor.
Die gute Nachricht war, dass Jimmy gute Chancen hatte, wieder auf die Beine zu kommen. Die schlechte Nachricht war, dass Jimmy glaubte, er könne in seinen Job zurückkehren. Das aber war nicht der Fall. Nach drei Bypässen kehrte niemand in diesen Job zurück. Nicht mit fünfzig. Nicht in die Mordkommission. Nicht in Philadelphia.
Ich vermisse dich, Clutch , dachte Byrne, als er an seinen neuen Partner dachte, den er heute kennen lernen würde. Ohne dich ist es einfach nicht dasselbe, Mann.
Und wird es nie wieder sein.
Byrne war dabei gewesen, als Jimmy zusammenbrach, kaum zehn hilflose Schritte entfernt. Sie hatten in der Nähe der Kasse im Malik’s gestanden, einer winzigen Imbissbude an der Ecke der Zehnten und der Washington. Byrne hatte Zucker in ihre Kaffeetassen geschüttet, während Jimmy mit der Bedienung flirtete. Desiree, eine junge, kakaobraune Schönheit, hätte Jimmys Enkelin sein können, und es stand fest, dass er bei ihr nicht landen konnte. Das junge Mädchen war der einzig wahre Grund, warum sie immer im Malik’s anhielten. Auf jeden Fall war es nicht das Essen.
Jimmy hatte sich an die Theke gelehnt und seinen Charme spielen lassen. Er strahlte das Mädchen an wie eine Hundert-Watt-Birne, und eine Sekunde später lag er auf dem Boden – sein Gesicht von Schmerzen verzerrt, sein Körper erstarrt, die Finger seiner riesigen Pranken wie Krallen verbogen.
Dieses Bild hatte sich Byrne ins Gedächtnis gebrannt wie nur wenige andere. In seinen zwanzig Dienstjahren bei der Polizei war es für ihn fast zur Routine geworden, die Momente verwegenen Heldentums und rücksichtslosen Mutes bei den Menschen zu akzeptieren, die er liebte und bewunderte. Er hatte sogar die sinnlose Gewalt
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