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Cabal - Clive Barker.doc

Cabal - Clive Barker.doc

Titel: Cabal - Clive Barker.doc Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Admin
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versiegelt.
    »Sagen Sie mir...«, sagte Boone.
    »Wo soll ich anfangen?«
    »Irgendwo.«
    »Ich dachte, es ginge Ihnen besser«, sagte Decker. »Das dachte ich wirklich. Dachten wir beide.«
    »Ich denke es noch«, sagte Boone.
    Decker schüttelte unmerklich den Kopf. Er war ein Mann mit bemerkenswerter Intelligenz, aber davon zeigte sich wenig in den dichtgedrängten Zügen, es sei denn vielleicht in den Augen, die in diesem Moment nicht den Patienten ansahen, sondern den Tisch zwischen ihnen.

    12

    »Sie haben angefangen, bei Ihren Sitzungen zu reden«, sagte Decker, »über Verbrechen, die Sie Ihrer Meinung nach begangen haben. Erinnern Sie sich daran?«
    »Sie wissen, daß ich mich nicht erinnere.« Die Trancen, in die Decker ihn versetzte, waren zu tief: »Ich erinnere mich nur, wenn Sie das Band abspielen.«
    »Von diesen werde ich keine abspielen«, sagte Decker.
    »Ich habe sie gelöscht.«
    »Warum?«
    »Weil... ich Angst habe, Boone. Um Sie.« Er machte eine Pause. »Vielleicht um uns beide.«
    Der Riß in dem Fels wurde breiter, und Decker konnte nichts tun, um ihn zu verbergen.
    »Was sind das für Verbrechen?« fragte Boone.
    »Morde. Sie sprechen wie besessen davon. Zuerst dachte ich, es wären Traum verbrechen. Sie hatten immer eine Ader der Gewalt in sich.«
    »Und jetzt?«
    »Jetzt fürchte ich, daß Sie sie tatsächlich begangen haben könnten.«
    Es folgte ein längeres Schweigen, während Boone Decker mehr verwirrt als wütend studierte. Die Jalousien waren nicht ganz heruntergezogen. Ein Streifen Sonnenlicht fiel über ihn und auf den Tisch zwischen ihnen. Auf der Glasplatte standen eine Flasche stilles Wasser, zwei Schwenker und ein großer Umschlag. Decker beugte sich nach vorne und hob ihn hoch.
    »Was ich jetzt mache, ist wahrscheinlich auch ein Verbrechen«, sagte er zu Boone. »Vertraulic hkeit bei Patienten ist eines, aber einen Killer zu schützen etwas anderes.
    Aber ein Teil von mir fleht immer noch zu Gott, daß es nicht wahr ist. Ich möchte glauben, daß ich erfolgreich war. Daß wir erfolgreich waren. Gemeinsam. Ich möchte glauben, daß es Ihnen gutgeht.«

    13

    »Es geht mir gut.«
    Statt einer Antwort riß Decker den Umschlag auf.
    »Ich möchte gerne, daß Sie sich das hier für mich ansehen«, sagte er, glitt mit der Hand in den Umschlag und förderte einen Stapel Fotografien ans Licht.
    »Ich warne Sie, sie sind nicht angenehm.«
    Er legte sie auf sein Spiegelbild – so gedreht, daß Boone sie betrachten konnte. Seine Warnung war gut gewesen. Das erste Bild auf dem Stapel war wie ein körperlicher Angriff. Als er es sah, stieg eine Angst in ihm empor, wie er sie nicht mehr empfunden hatte, seit er in Deckers Obhut gekommen war: daß das Bild ihn besit-zen könnte. Er hatte Stein für Stein eine Mauer gegen diesen Aberglauben gebaut, aber jetzt bebte sie und drohte einzustürzen.
    »Es ist nur ein Bild.«
    »Das stimmt«, antwortete Decker. »Es ist nur ein Bild.
    Was sehen Sie?«
    »Einen toten Mann.«
    »Einen ermordeten Mann.«
    »Ja. Einen ermordeten Mann.«
    Nicht einfach ermordet: abgeschlachtet. Das Leben in rasender Wut mit Stichen und Schlitzen aus ihm heraus-geschlachtet, sein Blut mit der Klinge, die seinen Hals zerfetzt, sein Gesicht verwüstet hatte, an die Mauer hinter ihm geschleudert. Er hatte lediglich Unterhosen an, so daß man die Verletzungen an seinem Körper trotz des vielen Blutes mühelos zählen konnte. Genau das tat Boone jetzt, damit das Entsetzen ihn nicht überwältigte.
    Nicht einmal hier, in diesem Zimmer, wo der Doktor aus dem Block des Zustands seines Patienten ein anderes Selbst gemeißelt hatte, hatte Boone jemals so am Grauen gewürgt, wie er jetzt würgte. Er schmeckte das Früh-stück in seinem Hals, oder die Mahlzeit vom Vorabend, 14

    die wider die Natur aus seinen Eingeweiden emporstie -
    gen. Scheiße in seinem Mund, gleich dem Schmutz dieser Tat.
    Zähle die Wunden, sagte er zu sich; tu so, als wären sie Perlen eines Abakus. Drei, vier, fünf in Unterleib und Brust: Eine besonders zerfetzte, mehr ein Riß als eine Wunde, klaffte so weit, daß die Innereien des Mannes herausschauten. Zwei weitere an der Schulter. Und dann das Gesicht, von Schnittwunden entstellt. So viele , daß man ihre Zahl nicht einmal schätzen konnte, nicht einmal der teilnahmslose Beobachter. Sie machten das Opfer völlig unkenntlich: Augen herausgerissen, Lippen aufgeschlitzt, die Nase in Fetzen.
    »Genug?« fragte Decker, als wäre diese Frage nötig

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