Cäsar Birotteaus Größe und Niedergang (German Edition)
ernste, würdige, wenn auch liebenswürdige Haltung flößte Respekt ein. Sie besaß ein gewisses fremdartig anmutendes Wesen, das auffiel, ohne komisch zu wirken, und mit ihrer Kleidung und deren Schnitt zusammenhing; sie trug immer Handschuhe und hatte ständig einen Sonnenschirm mit Stock, wie die von Marie-Antoinette in Trianon benutzten, bei sich; ihr Kleid, gewöhnlich von ihrer Lieblingsfarbe, einem matten Braun, wie vertrocknete Blätter, fiel an den Hüften in unnachahmlichen Falten herab, deren Geheimnis die alten Stiftsdamen mit sich, ins Grab genommen haben. Sie hatte die schwarze, mit schwarzen Spitzen und großen viereckigen Maschen garnierte Mantille beibehalten; ihre Hauben von altmodischer Form hatten einen Aufputz, der an die zackigen Ausschnitte alter à jour gearbeiteter Rahmen erinnerte. Sie schnupfte Tabak, wobei sie die peinlichste Sauberkeit beobachtete und jene Handbewegungen sehen ließ, an die sich noch die jungen Leute erinnern werden, die das Glück gehabt haben, ihre Großmütter und Großtanten feierlich die goldene Tabaksdose neben sich auf einen Tisch stellen und die Tabaksspuren von ihren Fichus entfernen zu sehen.
Der Herr Ragon war ein kleiner Mann von höchstens fünf Fuß Größe, mit einem Nußknackergesicht, von dem nur die Augen, zwei spitze Backenknochen, Nase und Kinn zu sehen waren; zahnlos, die Hälfte der Worte verschluckend, führte er eine feuchte, liebenswürdige, gezierte Unterhaltung und lächelte stets mit dem Lächeln, mit dem er früher die schönen Damen, die zu ihm kamen, an der Tür seines Ladens empfing. Auf seinem Schädel zeichnete sich, scharf abgezirkelt, ein schneeiger Halbmond von Puder ab, an den sich zwei Flügellocken anschlossen, zwischen denen ein kleiner, von einem Bande zusammengehaltener Zopf herabhing. Er trug einen kornblumenblauen Rock, weiße Weste, seidene Beinkleider und Strümpfe, Schuhe mit goldenen Schnallen und schwarzseidene Handschuhe. Besonders charakteristisch war an ihm, daß er auf der Straße den Hut in der Hand hielt. Er sah aus wie ein Bote der Pairskammer, wie ein Türsteher des königlichen Kabinetts, wie einer von den Leuten, die ihre Position so nahe bei irgendeiner leitenden Stelle haben, daß ein Abglanz davon auch auf sie fällt, die aber an sich wenig zu bedeuten haben.
»Nun, Birotteau,« sagte er hoheitsvoll, »tut es dir leid, daß du damals uns gefolgt bist? Haben wir jemals an der Erkenntlichkeit unsres geliebten Herrscherhauses gezweifelt?«
»Sie müssen doch sehr glücklich sein, mein liebes Kind«, sagte Frau Ragon zu Frau Birotteau.
»Aber gewiß«, antwortete die schöne Parfümhändlerin, die ständig unter dem Zauber des Stockschirms, der Hauben mit Schmetterlingsflügeln, der engen Ärmel und des großen Fichus à la Julia stand, die Frau Ragon trug.
»Cäsarine ist reizend; kommen Sie her, mein liebes Kind«, sagte Frau Ragon mit ihrer Kopfstimme und ihrem Beschützertone.
»Schließen wir das Geschäft vor dem Essen ab?« sagte der Onkel Pillerault.
»Wir warten auf Herrn Claparon,« sagte Roguin, »er zog sich schon an, als ich ihn verließ.«
»Sie haben ihm doch gesagt,« sagte Cäsar, »daß wir in diesem schlechten Zwischengeschoß essen müssen?«
»Vor sechzehn Jahren fand er es wundervoll«, murmelte Konstanze leise.
»Mitten zwischen Schutt und Arbeitern.«
»Ach, Sie werden sehen, daß er ein guter Kerl und leicht zufriedenzustellen ist«, sagte Roguin.
»Ich habe angeordnet, daß Raguet im Laden aufpaßt, man kann nicht mehr durch die Tür gehen, es ist schon alles eingerissen, wie Sie gesehen haben«, sagte Cäsar zu dem Notar.
»Warum haben Sie Ihren Neffen nicht mitgebracht?« fragte Pillerault Frau Ragon.
»Werden wir ihn nicht sehen?« sagte Cäsarine.
»Nein, mein Herz«, antwortete Frau Ragon. »Anselm, das gute Kind, wird sich noch zu Tode arbeiten. Und diese Straße ohne Luft und Licht, diese übelriechende Rue des Cinq-Diamants macht mir Angst; der Rinnstein sieht immer blau, grün oder schwarz aus. Ich fürchte, daß er sich dort zugrunde richtet. Aber wenn sich die jungen Leute etwas in den Kopf gesetzt haben!« sagte sie zu Cäsarine und deutete dabei an, daß das Wort »Kopf« das Wort »Herz« bedeuten solle.
»Hat er seinen Mietvertrag abgeschlossen?« fragte Cäsar.
»Gestern schon, und vor dem Notar«, versetzte Ragon. »Er hat ihn auf achtzehn Jahre durchgesetzt, soll aber ein halbes Jahr vorauszahlen.«
»Nun, Herr Ragon, sind Sie mit mir zufrieden?«
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