Cäsar Cascabel
mit einem Lehrmeister wie Sie!«
»Bitte sehr um Verzeihung, Herr Sergius, aber ich versichere Ihnen, daß Sie auffallend viel natürliches Talent dazu besitzen!… Mit ein wenig Übung würden Sie ein unvergleichlicher Taschenspieler werden und sicher gute Einnahmen erzielen!«
Am sechsten Mai Ankunft der Belle-Roulotte am Ufer des Jenisei, hundert Meilen westwärts vom Jegesee.
Der Jenisei ist einer der Hauptströme des sibirischen Festlandes und ergießt sich durch den nach ihm benannten, unterm siebzigsten Breitegrad gelegenen Golf ins nördliche Eismeer.
Zu jener Zeit war der mächtige Fluß schon vollkommen eisfrei. Eine große Fähre, welche den Verkehr von Wagen und Reisenden zwischen beiden Ufern vermittelte, brachte die kleine Karawane, Personal und Material, gegen Entrichtung eines recht beträchtlichen Schiffszolles, hinüber.
Nun dehnte sich wieder die Steppe mit ihren endlosen Horizonten vor ihnen aus. Zu wiederholten Malen stießen sie auf Gruppen von Ostjaken, welche ihren religiösen Pflichten oblagen. Obgleich die Mehrzahl derselben getauft ist, hat die christliche Religion wenig Gewalt über sie und hegen sie nach wie vor die tiefste Verehrung für ihre heidnischen Shaïtanbilder. Es sind dies aus großen Holzklötzen geschnitzte Götzen mit menschlichen Gesichtern, von denen jedes Haus, ja sogar jede Hütte eine kleine, mit einem Kupferkreuzchen gezierte Kopie besitzt.
Anscheinend ziehen die ostjakischen Priester, die Schamans, einen hübschen Vorteil aus jener Doppelreligion, abgesehen davon, daß sie großen Einfluß auf die zugleich christlichen und götzendienerischen Fanatiker ausüben. Man glaubt kaum, mit welcher Überzeugung diese Besessenen sich vor ihren Götzen herumwälzen und in was für epileptischen Verzerrungen sie sich ergehen.
Als man zum erstenmal ein halbes Dutzend solcher Tollhäusler erblickte, wandelte den jungen Xander die Lust an, mit ihnen zu wetteifern; er ging auf den Händen herum, bog sich in den Hüften, warf den Rumpf zurück, machte Luftsprünge wie ein Clown und beendete die Übung mit einer Reihe von Purzelbäumen.
Was seinen Vater zu der Bemerkung veranlaßte:
»Ich sehe Kind, daß du nichts von deiner Geschmeidigkeit eingebüßt hast!… Das ist recht gut!… Aber vernachlässigen wir uns nicht!… Denken wir an den Jahrmarkt von Perm!… Es handelt sich um die Ehre der Familie Cascabel!«
Im ganzen genommen, war die Reise ohne allzu große Anstrengungen vor sich gegangen, seitdem die Belle-Roulotte die Lenamündungen verlassen hatte. Manchmal mußte sie dichte Fichten-und Birkenwälder umgehen, welche einige Abwechslung in die Eintönigkeit jener Ebenen brachten und durch die sie sich keinen Weg zu bahnen vermocht hätte.
Im allgemeinen war das Land fast unbewohnt. Man reiste meilenweit, ohne auf ein Dörfchen oder ein Gehöft zu stoßen. Die ganze Gegend ist außerordentlich schwach bevölkert und der Bezirk von Berezów, der reichste von allen, zählt nur fünfzehntausend Einwohner in einem Umkreis von dreitausend Kilometern. Dagegen und vielleicht eben deshalb wimmelt es dort von Wild.
Herr Sergius und Jean konnten sich also ihrer vollen Leidenschaft für die Jagd hingeben und zugleich die Speisekammer der Frau Cascabel verproviantieren. Ortik begleitete sie zumeist und legte Proben einer merkwürdigen Geschicklichkeit ab. Die Hafen hausen zu Tausenden in der Steppe, gar nicht zu reden vom Federwild, dessen Schwärme unzählbar sind. Es gab auch Elentiere, Damhirsche, wilde Renntiere, sogar riesige Eber, sehr gefährliche Tiere, welche die Jäger sich wohlweislich enthielten aufzustöbern.
Was die Vögel betrifft, so sah man Enten, Tauchenten, Gänse, Krammetsvögel, Birkhühner, Haselhühner, Störche und weiße Rebhühner. Man hatte reiche Auswahl. Wenn ein Schuß sich zu irgend einem unverdaulicheren Wild verirrt hatte, so überließ Cornelia dasselbe denn auch den beiden Hunden, die sich gern damit abfanden.
Diesem Reichtum an frischem Wildbret zufolge speiste man vorzüglich – sogar zu gut! Was Herrn Cascabel bewog, seinen Künstlern Genügsamkeit zu predigen.
Der Polarkreis wurde mit einer guten Flasche Branntwein begossen. (Seite 276.)
»Kinder, hütet euch vor dem Fettwerden!…« sagte er wiederholt. »Das Fett ist der Ruin für die Gelenkigkeit!… Es ist die Geißel des Akrobaten!… Ihr eßt zu viel!… Was Teufel, Mäßigkeit!… Xander, mir scheint, du wirst korpulent!… Pfui!… In deinem Alter!… Daß du dich
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