Cäsar Cascabel
dem linken Flußufer zu erreichen.
Dieser Marktflecken ist eigentlich bloß ein Dorf und gefährdete die Sicherheit des Grafen Narkine in keiner Weise, da es nicht als Militärposten diente. Indessen war es doch ratsam, seine Angelegenheiten in Ordnung zu bringen, da man im Begriffe stand, den Fuß des Uralgebirges zu erreichen, und da die russische Verwaltung jeden vom Auslande Kommenden nötigt, seine Papiere vorzuzeigen. So beschloß Herr Cascabel denn, die seinigen durch den Bürgermeister von Muji visitieren zu lassen. War das geschehen, so konnte Herr Sergius, als zum Personal der Truppe gehörig, die Grenze des Moskowitenreiches überschreiten, ohne den Verdacht der Polizei zu erregen.
Weshalb mußte ein beklagenswerter Zufall diesen so leicht ausführbaren Plan gefährden? Weshalb waren Ortik und Kirschef zur Stelle, entschlossen, ihn zu vereiteln? Warum auch wollten sie die Belle-Roulotte durch die gefährlichsten Pässe des Ural führen, wo sie alsbald mit Banden von Übelthälern, ihren früheren Spießgesellen, zusammentreffen würden?
Aber Herr Cascabel, der diese Lösung nicht voraussehen und also auch nichts dagegen thun konnte, frohlockte unaufhörlich, sein tollkühnes Unternehmen gut zu Ende geführt zu haben. Nun sie ganz Westamerika, ganz Nordasien durchzogen hatten, würden kaum hundert Meilen Weges sie an die Grenze von Europa bringen! Seine Frau und Kinder waren vollkommen gesund und spürten nichts von den Anstrengungen jener langen Reise. Wenn Herrn Cascabels Thatkraft zur Zeit der Katastrophe in der Beringstraße und während des Treibens auf dem Eismeere nachgelassen, so hatte er doch wenigstens jenen Dummköpfen auf den Liakhoffinseln zu entgehen gewußt und die Belle-Roulotte in den Stand gesetzt, ihre Reise auf dem Festland fortzusetzen.
»Wahrlich, was Gott thut, ist gewöhnlich wohlgethan!« wiederholte er gern.
Herr Sergius und seine Gefährten hatten beschlossen, vierundzwanzig Stunden lang in Muji zu verweilen, wo die Einwohner ihnen einen vorzüglichen Empfang bereiteten.
Indessen erhielt Herr Cascabel den Besuch des Gorodintschy, – des Bürgermeisters von Muji. Diese, in Bezug auf Fremde etwas mißtrauische Persönlichkeit betrachtete es als ihre Pflicht, das Oberhaupt der Familie einem Verhör zu unterziehen. Herr Cascabel wies ohne Zögern seine Papiere vor, in welchen Herr Sergius als einer der Künstler der Jahrmarktstruppe aufgeführt war.
Den ehrsamen Beamten, welchem der moskowitische Ursprung des Herrn Sergius nicht entgehen konnte, nahm es Wunder, einen Landsmann von sich unter französischen Gauklern zu sehen, und er lieh diesem Erstaunen Worte.
Aber da gab Herr Cascabel ihm zu bedenken, daß sich neben dem Russen auch ein Amerikaner in der Person Clou-de-Girofles und eine Indianerin in der Person Kayettens unter ihnen befinde. Er kümmere sich nur um die Begabung seiner Künstler, nicht um ihre Nationalität. Er fügte hinzu, daß diese Künstler sich glücklich schätzen würden, wenn »der Herr Maire« – nun und nimmer hätte Cäsar Cascabel das Wort Gorodintschy auszusprechen vermocht –, wenn der Herr Maire ihnen gestatten wolle, in seiner Gegenwart zu arbeiten!
Das machte dem besagten Maire großes Vergnügen; er nahm den Vorschlag des Herrn Cascabel an und versprach ihm, nach der Vorstellung seine Papiere zu visieren.
Was Ortik und Kirschef betrifft, so waren sie als zwei auf der Heimreise befindliche russische Schiffbrüchige bezeichnet worden und stießen auf keinerlei Schwierigkeiten.
Der Verabredung gemäß begab die ganze Truppe sich am selbigen Abend in die Wohnung des Gorodintschy.
Es war das ein ziemlich geräumiges Haus, in Erinnerung an Alexander I., der diese Farbe liebte, schön gelb angestrichen. An den Wänden des Salons hing ein Bild der heiligen Jungfrau, umgeben von mehreren russischen Heiligenbildern, die sich in ihren Rahmen aus Silberstoff recht gut ausnahmen. Bänke und Schemel dienten dem Bürgermeister, seiner Frau und seinen drei Töchtern zu Sitzen. Ein halbes Dutzend Honoratioren war geladen worden, um an den Vergnügungen dieses Abends teilzunehmen, während die einfachen Steuerzahler von Muji dicht gedrängt um das Haus standen und sich damit begnügten, bei den Fenstern hineinzugucken.
Die Familie Cascabel wurde sehr zuvorkommend empfangen. Sie begann ihre Kunstübungen, welchen man nicht allzu sehr anmerkte, daß sie seit Wochen vernachlässigt worden waren. Die Verrenkungen des jungen Xander fanden großen Beifall;
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