Canale Mortale (German Edition)
in Köln besuchte. Die europäische
Zusammenarbeit bei der Armutsbekämpfung lag ihm am Herzen.
Antonias Italienisch war begrenzt, und den venezianischen Dialekt,
den viele hier sprachen, verstand sie schon gar nicht. Don Orione hatte sich auch
ihren Namen gemerkt. Erstaunlich. Sie musste sich demnächst unbedingt
ausführlicher mit ihm unterhalten. Er war bestimmt eine sehr ergiebige
Informationsquelle, was den Palazzo und die Falieris anging.
In der kleinen Küche des Apartments verstaute sie die Lebensmittel
im Kühlschrank. Vom vielen Gehen müde, wollte sie sich ausruhen und noch etwas
die Abendsonne genießen. Jana hatte ihr gesagt, dass sie die Altana, die
Dachterrasse, nutzen könne. Dort stünde die Sonne den ganzen Tag. Über eine
steile Holztreppe, die vom Flur vor dem Gästetrakt nach oben führte, gelangte
sie zum Ausgang. Der Schlüssel steckte innen im Türschloss.
Sie öffnete die Tür und betrat die hölzerne Dachterrasse, auf der in
zwei Reihen die Wäsche des Hauses zum Trocknen hing. Die Aussicht von hier oben
war atemberaubend: Links und rechts breitete sich der Giudecca-Kanal unter ihr
aus, gegenüber lag die Häuserreihe der Giudecca-Insel, und in die andere
Richtung hatte man einen wunderbaren Blick über die roten Ziegeldächer der
Paläste und Häuser des Stadtteils Dorsoduro.
Antonia bahnte sich einen Weg durch Bettlaken und Handtücher und
breitete an einer freien Stelle ihre Isomatte am Boden aus. In der einen Hand
einen Apfel, in der anderen ein Buch, legte sie sich genüsslich in die Sonne.
Schon nach wenigen Minuten ließ sie den Roman allerdings sinken, schloss die
Augen und schlief ein. Sie erwachte erst wieder, als jemand die Altana betrat.
Antonia fröstelte. Die Sonne war, während sie geschlafen hatte, untergegangen,
und die Dachterrasse lag jetzt im Schatten. Eine hagere, groß gewachsene Frau
stand neben ihr und sah unfreundlich auf sie herab. Antonia sprang auf. Die
Frau war etwa Mitte vierzig, hatte ein herbes Gesicht mit einer großen Nase und
sah aus, als hätte sie bislang nicht viel Glück im Leben gehabt.
»Buona sera, mi chiamo Flavia.«
Ihrer Stimme mangelte es an Wärme. Antonia mochte die dunklere
Tonlage der italienischen Frauen, diese Stimme jedoch hatte einen schneidenden
Klang. Sie erinnerte sich, dass Octavia beim Essen erzählt hatte, dass
Giovanna, die Köchin, im Haushalt Unterstützung von Flavia hatte, einer Frau,
die jeden Tag von der Giudecca zum Putzen und Waschen in den Palazzo kam.
Antonia stellte sich ebenfalls vor und wollte der Fremden nach deutscher
Gewohnheit die Hand schütteln. Flavia wandte sich jedoch ab, stieß ein heiseres
»Piacere« aus und machte sich daran, die Wäsche abzuhängen. Als Antonia ihr
anbot, dabei zu helfen, sah sie erstaunt auf.
»Nein danke, Signora, ich werde für diese Arbeit bezahlt und mache
sie lieber alleine.«
Antonia murmelte verunsichert ein »Buona sera« und stieg die Treppe
hinunter.
Im Gästeapartment wäre sie fast über Florians Schuhe gestolpert.
Florian hatte die Angewohnheit, seine Sachen, wo er ging oder stand, einfach
fallen zu lassen, wenn er nach Hause kam. Er lag auf dem Bett und schien
erschöpft zu sein.
»Wie war dein Tag?«, fragte er mit schläfriger Stimme.
Antonia überlegte kurz, ob die von Octavia eingeforderte Diskretion
auch Florian einschloss, entschied sich dagegen und erzählte aufgeregt von dem,
was sie von Octavia erfahren hatte. Unruhig ging sie hin und her und
schilderte, was in den Briefen stand.
»Was könnte das wohl bedeuten? Die ›7 M ‹?«,
schloss sie fragend.
Florian antwortete nicht. Als sie zu ihm hinübersah, war sein Kopf
auf die Brust gesunken. Er war eingeschlafen. Unsanft weckte sie ihn. »Hey, ich
erzähle hier ganze Romane, und du schläfst ein!«
»Oh, entschuldige!« Florian rieb sich die Augen. »Ich habe heute wie
besessen geübt und bin furchtbar müde. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich
weitergekommen bin. Ich habe dieses Stück schon hundertmal geprobt, aber heute
klappte es überhaupt nicht.«
»Vielleicht musst du dich erst an das Instrument gewöhnen«, sagte
Antonia tröstend. »Du sagst doch selbst immer, dass jede Orgel ihre Eigenart
hat. Sei nicht zu streng mit dir.«
Dann erzählte sie ihm ein zweites Mal von den Briefen, die Octavia
Bayer ihr gezeigt hatte.
»Ich muss unbedingt herausbekommen, was es mit den ›7 M ‹ auf sich hat.«
»Neiiiiin!« Florian warf sich auf den Bauch und vergrub den Kopf im
Kissen. Dann hörte
Weitere Kostenlose Bücher