Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Canale Mussolini

Canale Mussolini

Titel: Canale Mussolini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pennacchi Antonio
Vom Netzwerk:
im »Avanti« lesen: »Der Genosse Rossoni hat hier oder dort gespr o chen, die Menge hat ihm zugej u belt, die Polizei hat Anzeige gegen ihn erstattet.« Als er jung war, brachte er es fertig, auch drei Versammlungen an drei verschiedenen Orten abzuhalten, und damals war das schließlich nicht wie heute. Abgesehen davon, dass heute keine öffentlichen Versammlungen mehr abgehalten werden. Auf den Plätzen wurde man unterbrochen, es wurden Fragen gestellt und es gab Widerspruch. Und man musste antworten können, schlagfertig sein und den Gegner auch prompt fertigmachen können. Jetzt geht man ins Fernsehen, man bekommt Puder aufgelegt und abgesprochene Fragen gestellt. Und dann gab es keine Autos und keine Züge. Oder genauer, ein paar Autos gab es schon, aber es gab keine Straßen. Die direkte Verbindung von Codigoro nach Ferrara wurde erst 1927 gebaut, und es war eben Rossoni, der dafür sorgte, dass sie gebaut wurde. Vorher waren es vier Stunden in der Postkutsche von Codigoro nach Ferrara, den Volano rauf und runter. Und er, Rossoni, war imstande, drei Versammlungen an einem Tag abzuhalten, dreimal am Tag auf verschiedenen Dorfplätzen herumzuschimpfen, gegen die Reichen zu wettern, gegen die Gutsherren und vor allem gegen die Pfaffen, er war nämlich bei den Pfaffen zur Schule gegangen, er hatte das Gymnasium ganz bei den Salesianern gemacht; der Vater hatte ihn in Turin ins Seminar gesteckt, unter dem Vorwand, er solle Priester werden, aber er flog raus. Und jedes Mal – nachdem er sich die Seele aus dem Leib gebrüllt hatte – sprang er auf seine Kalesche und legte wieder Dutzende Kilometer auf staubigen Straßen zurück, um sich woanders wieder die Seele aus dem Leib zu schreien. Das verlangte Ausdauer. Wer weiß, was die Salesianer in diesem Internat ihm angetan hatten.
    Großvater jedenfalls, wenn er ab und zu im Wirtshaus einen Blick in den »Avanti« werfen konnte, sagte zu allen in der Runde: »Da schau einer an, dieser Rossoni, was der für eine Karriere macht«, und gab damit zu verstehen, dass das alles sein Verdienst war: »Ich habe ihn großgezogen.« Nicht dass Großvater jetzt mehr von Politik verstanden hätte als früher. Er hatte sich natürlich in die Liga eingeschrieben und ging zur Camera del lavoro. Mehr aber auch nicht. Von den Pfaffen hielt er sich wie gesagt fern, aber ohne allzu schlecht über sie zu reden. »Ihr da, ich hier«, und damit basta, nicht wie Rossoni, der wirklich antiklerikal war. »Der Teufel, das sind sie, nur dazu gut, die Armen in Unwissenheit zu halten und in der Angst vor der Hölle, so dass sie nicht gegen die Reichen und die Herren aufbegehren.« Großvater nicht, für ihn zählten die Priester nicht und fertig, auch weil Großmutter ein bisschen Achtung vor ihnen bewahrte. Nicht dass sie eine Betschwester gewesen wäre; aber an den hohen Feiertagen – Weihnachten, Ostern, Pfingsten – ging sie in die Kirche, gab dem Pfarrer den Zehnten vom Getreide, wenn er alljährlich nach der Ernte vorbeikam, und sie betete regelmäßig jedes Mal, wenn ein Kind krank wurde. Großvater aber galt mittlerweile bei allen als Sozialist, als Subversiver, und mit Rossoni hatte er im Gefängnis gesessen der Idee wegen. Sollte er etwa nicht Sozialist sein, nach allem, was er durchgemacht hatte? Er war es, und er wollte die Revolution, allerdings vom Wirtshaus aus, während er mit seinen Kumpanen Briscola spielte.
    Rossoni sah man vier Jahre später wieder, 1908, in den ersten Junitagen. Er war auf der Durchreise, er war gekommen, um eine Versammlung der Liga abzuhalten, und blieb abends zum Abendessen. Er war mit einem anderen zusammen – kleiner als er –, mit dem er uns bekannt machen wollte, ein Volksschullehrer aus der Gegend von Forlí: »Sein Vater ist Schmied«, sagte Rossoni zu Großvater.
    Und Großmutter sofort: »Dann soll er mir die Egge richten, während ich zu essen mache.«
    Der Kleine hörte es und musste lachen. Dann, um ihr zu zeigen, dass er das konnte, zog er die Jacke aus, legte die Schleife ab und krempelte die Ärmel hoch. Da sie nichts sagte – ihn im Gegenteil mit einem herausfordernden Lächeln und die Arme in die Seiten gestemmt musterte –, blies er ins Feuer, fachte die Glut an, packte den Hammer und reparierte die Egge, bog jede einzelne Spitze zurecht, tong, tong, tong . Ein Schlag hier, ein Schlag da, während sie unterdessen schon das Essen auftrug – auf diesem langen Tisch, an dem schon sechs oder sieben Kinder saßen –, Pasta und Bohnen,

Weitere Kostenlose Bücher