Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Canale Mussolini

Canale Mussolini

Titel: Canale Mussolini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pennacchi Antonio
Vom Netzwerk:
Revolution und basta: Alle gleich, keine Herren, kein Militär und keine Pfaffen mehr; kein Privateigentum mehr; der Boden aufgeteilt unter den Bauern und die Fabriken in der Hand der Arbeiter.
    Das Schlimmste aber ist, dass nicht einmal wir, die wir für eine Welt von Gleichen kämpften, untereinander gleich waren. Es war ein Kuddelmuddel. Da waren die revolutionären Syndikalisten und die normalen Syndikalisten von den Camere del lavoro, und da war ein schöner Unterschied zwischen Cgil, Ligen, Sozialisten, Anarchisten, Reformisten, Minimalisten und Maximalisten; ich hab gut reden von den ganzen Unterschieden, ich kenne sie selbst nicht, aber es gab jede Menge davon, so ungefähr wie in der Linken heute. Finden Sie, dass heute alle gleich sind? Haben Sie sie je einig gesehen? Gut, damals war das sogar noch schlimmer, denn da gab es auch noch solche, die die Revolution wollten, während heute, wenn Sie es genau betrachten, selbst die Kommunisten nicht mehr recht weit entfernt sind von den Liberalen, man unterscheidet sich voneinander, weil es sein muss, sonst sagen die Leute noch: »Und warum sollte ich dich wählen?«
    Damals jedenfalls war alles voller Reformisten, Leuten, die sagten: »Immer in kleinen Schritten voran, heute erstreiten wir ein halbes Recht hier, morgen ein halbes dort, und dann, wer weiß, eines Tages, wir werden ja sehen«, und unterdessen, über all der Warterei, starb das Pferd voll der Hoffnung, wie man bei uns sagt. Und Rossoni und Mussolini hatten sich an jenem Abend bei meinem Großvater eben über die Reformisten aufgeregt: über Treves, Turati, Modigliani und Bissolati – sie konnten sie nicht ausstehen, weil sie immer nur sagten, man solle stillhalten, früher oder später würde sich im Parlament etwas tun, was man brauche, sei eine moderate Gewerkschaftsbewegung, eine reformistische.
    Die Unsrigen dagegen wollten ein für alle Mal Schluss machen damit, und zwar mit einem ordentlichen Generalstreik. Aber nicht solche sogenannten Generalstreiks, wie sie heutzutage gemacht werden, kleine Streiks von vier Stunden und dann alle gleich wieder an die Arbeit, um die vier Stunden baldmöglichst wieder reinzuholen. Sie wollten einen wirklichen Generalstreik, wo alle gemeinsam von einem Augenblick auf den anderen die Arbeit niederlegen, welche Arbeit auch immer – ob Kellner, Kämmerer, Kuhhirten, Arbeiter, Straßenkehrer, Eisenbahner oder Totengräber –, und dann sieht man schon, was passiert. Und nicht zwei oder drei Tage, sondern dass er jetzt anfängt und nicht mehr aufhört, bis die Herrschaften kein Stück Brot mehr im Haus haben und niemanden mehr, der ihnen den Hintern putzt und die Fabriken am Laufen hält, ihre Ländereien und ihr Vieh versorgt.
    Ich stehe jetzt nicht an, Ihnen zu sagen, ob die einen oder die anderen recht hatten. Ich sage Ihnen nur, wie die Dinge gelaufen sind und wie meine Familie – von Mal zu Mal – die Dinge sah. Wer recht hatte, weiß ich nicht, bilden Sie sich selbst Ihr Urteil über Recht und Unrecht.
    Meinem Großvater gefiel diese Perspektive mit dem Generalstreik überaus gut: »Man muss nur ein bisschen was auf die Seite legen«, dachte er, »alle miteinander, ein paar Vorräte, man setzt insgeheim den Tag fest, und so ist man selber vorbereitet und die anderen nicht.« Mittlerweile war er ein überzeugter revolutionärer Syndikalist, aber dass die Reformisten sozusagen fast auf der Seite des Feindes standen, das hatte Rossoni ihm nicht so genau erklärt. Er glaubte – Unterschiede hin oder her –, alle würden wir für dieselbe Idee kämpfen, daher waren die Namen der Leute, von denen er im »Avanti« las und die im Parlament mit Giolitti oder dem König für unsere Interessen als dem Volk der Arbeiter stritten, die besten unter uns.
    Und so hatte er – als er zwischen 1904 und 1908 weitere vier Kinder in die Welt setzte – gemeint, das Richtige zu tun, wenn er sie nach und nach Treves und Turati nannte und die beiden Mädchen, Zwillinge, für die es in der Wiege schon eng wurde, wo sie mit dem Kopf bei den Füßen der anderen schliefen, Modigliana und die andere, um niemandem Unrecht zu tun, Bissolata. Weshalb an jenem Abend beim Abendessen – sie waren freilich noch klein und begriffen nicht – jedes Mal, wenn Mussolini sich ereiferte und auch im Eifer doch immer wieder versuchte, möglichst einen Blick der Großmutter zu erhaschen – jedes Mal, wenn Mussolini hervorstieß: »Turati, der Hund, Turati, der Henker«, Großvater ihn am Ärmel

Weitere Kostenlose Bücher