Caras Gabe
Meer aus Finsternis, auf dessen Kronen silberne Mondfunken tanzten. Ich schloss die Augen und lauschte auf die Geräusche des Waldes, die selbst durch die dünne Glasscheibe an meine Ohren drangen. Das Rauschen der Bäume im Wind wurde zu heiserem Gemurmel, die Rufe der Käuzchen zu Warnschreien und das Knarren der Äste zu drohendem Knurren. Doch es machte mir keine Angst mehr. Der Wald war wie ein Wesen, eine Macht, die es zu respektieren galt. Ungezähmt und wild, stürmisch und aufbrausend, jedoch nicht furchteinflößend.
Seltsam enttäuscht wandte ich mich vom Fenster ab und stapfte zum Bett. Ich zog mein Kleid aus, hängte es an den Bettpfosten und kroch im Unterkleid unter die Bettdecke. Es war zum Verzweifeln. Nach allem, was heute passiert war, würde ich sicher nicht schlafen können. Ich war nicht einmal müde. Stattdessen lag ich da und starrte die Decke an, doch auch dort gab es keine Antworten zu entdecken, bloß staubige Spinnenweben über morschem Holz.
Mit einem Stöhnen drehte ich mich einmal um die eigene Achse, stand auf, schlurfte zurück ans Fenster und hockte mich auf die schwere Truhe, die daneben stand. Mein Haar fächerte über meinen Rücken aus. Geistesabwesend griff ich nach einem Kamm und begann die Knoten darin zu lösen.
Ich wünschte, ich könnte frei sein wie diese Elster und einfach von hier fortfliegen. Ich wünschte –
Ein Schatten! Direkt vor meinem Fenster.
Mit einem Schrei sprang ich zurück und starrte auf das Dunkel hinter der Glasscheibe. Die Schatten dahinter verdichteten sich und flossen ineinander. Die Finsternis schien einzuatmen und im nächsten Moment flog das Fester von einem plötzlichen Windstoß auf.
Die Vorhänge flatterten in die Nacht. Eine schwarze Wolke schwebte ins Zimmer und nahm die wage Gestalt eines Mannes an, umweht von einem langen, schwarzen Mantel. Sein Gesicht lag im Schatten und dennoch konnte ich den Blick seiner Augen auf mir spüren wie glühende Kohlen.
Es war die Gestalt, die mich vom Waldrand aus beobachtet hatte.
Mein Herz hämmerte wild in meiner Brust, meine Haut prickelte wie unter Nadelstichen. Was hatte ich zu der Elster gesagt? Bring mir deinen Meister. War es doch wahr, was die Priester erzählten? Kamen die Dämonen, die Varuh, zu jenen, die es zu bestrafen galt?
Bevor ich das Zittern meiner Hände verraten konnte, ballte ich sie zu Fäusten und trat einen Schritt auf den Dämon zu. Wenn ich für meine angeblichen Sünden sterben musste, dann wollte ich meinem Todbringer in die Augen sehen.
„Zeig dich“, flüsterte ich. „Zeig mir deine wahre Gestalt.“
Der Dämon senkte den Kopf und die Schatten, die sein Gesicht verhüllten, verzogen sich wie Wolken vor dem Mond. Eine gerade Nase, geschwungene Lippen und stechend graue Augen kamen zum Vorschein. Seine Haut war dunkel wie die Rinde der Tannen und sein Haar so schwarz wie die Nacht. Es war schwer zu sagen, ob sein Gesicht alt oder jung war. Ich legte den Kopf schräg und kniff die Augen zusammen. Sein Äußeres war jung, entschied ich, doch der Ausdruck in seinen Augen sprach von weit mehr Jahren und Erfahrung.
Ich musste den Kopf in den Nacken legen, um ihn anzuschauen. Sein Blick war derart durchdringend, dass ich fürchtete, ich sei aus Glas gemacht, und er konnte in mir lesen wie eine Wahrsagerin in ihrer Glaskugel. Ein mulmiges Gefühl stieg in mir hoch, begleitet vom bitteren Geschmack der Angst, doch ich unterdrückte es. Auf keinen Fall wollte ich Schwäche zeigen.
Meine Entschlossenheit musste sich auf meinem Gesicht abgezeichnet haben, denn die Mundwinkel des Varuh zuckten in widerwilliger Anerkennung.
„Bist du hier, um mich zu bestrafen?“, fragte ich atemlos.
„Warum“, fragte er langsam, „sollte ich das tun?“ Seine Stimme klang rau, als streiften Tannenzweige über meine Haut, und er formte die Worte auf eine sorgfältige Art, die mich ahnen ließ, dass sie ihm fremd waren.
„Ich habe das Feuer gelegt“, stieß ich hervor.
Er hob eine Augenbraue und beugte sich vor. „Du hast Angst vor mir?“, fragte er lauernd.
„Nein“, log ich und biss mir auf die Unterlippe.
Er verzog den Mund, ein amüsiertes Glitzern trat in seine Augen. „Verrate mir“, sagte er, „weshalb du allein an deinem Fenster sitzt und in die Nacht starrst.“
Meine Augen wurden groß. Hatte er mich all die Nächte beobachtet?
„Ich … ich fühle mich gefangen“, gestand ich. „Die weißen Priester und ihre Machenschaften schnüren mir die Luft zum Atmen ab.
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