Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Carlotta steigt ein

Carlotta steigt ein

Titel: Carlotta steigt ein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Barnes
Vom Netzwerk:
Gemütsruhe
schließen, selbst wenn alle Lampen an ihrer Schalttafel brannten, alle Taxen
zusammengebrochen waren und ein Hurrikan angesagt war.
    Gloria. Eine
Rückenmarksverletzung durch einen Autounfall mit neunzehn. Sie lebte in einem
Raum hinter der Garage, rollstuhlgerecht und ohne Stufen. Sie hielt sich für
sich und sonst offenbar nur an ihre drei Kolosse von Brüdern. Wenn die Fahrer
einmal Witze über sie machten — was nicht oft vorkam und dann auch nur mit
unterdrückter Stimme und raschem Blick über die Schulter, ob nicht etwa Brüder
in der Nähe waren — , sprachen sie von ihr als einer potentiellen
Selbstmörderin, die sich zu Tode esse.
    Ich hatte mir angewöhnt, ab und
zu bei ihr im Büro hereinzuschneien. Zu Anfang ging ich wohl aus Mitleid hin,
obgleich Gloria keins brauchte. Sie saß in ihrem Rollstuhl wie eine für den
Thron geborene Königin und reagierte das G&W-Königreich mit
Samthandschuhen, in denen sich eine eiserne Faust verbarg.
    Sie machte nie Frühstücks- oder
Mittagspause, denn sie aß den ganzen Tag über, während sie das Telefon
überwachte. Ich knabbere selbst gern etwas zwischendurch, aber jemanden wie
Gloria habe ich noch nie gesehen. Sie packt diese riesige Tasche jeden Morgen
mit einem Zeug voll, daß einem Ernährungsexperten die Spucke wegbleiben würde.
Sie ist die beste Kundin von «Hostess», das steht fest. Wenn sie je einmal
wütend wird, nimmt sie ihre Zuflucht zu Twinkies.
    «Hey, Glory», sagte ich. Sie
hob das Gesicht von einem cremegefüllten Kuchenteilchen und grinste mich an.
Sie sah dicker denn je aus, mit einem glatten Gesicht, das ewige Jugend
ausstrahlte. «Hey, Babe», sagte sie.
    Ich ließ mich auf einem
verblaßt orangenen Plastikstuhl nieder, nachdem ich mich vergewissert hatte,
daß er nicht schon von Schaben besetzt war. «Danke, daß du Miss Devens
vorbeigeschickt hast.»
    «Alte Schulden, Kleine.»
    «Jetzt sind wir aber quitt.»
Nach meinem Universitätsabschluß hatte ich das Jobben aufgegeben und war zur
Polizei gegangen. Ich hatte Gloria ab und zu einen Gefallen tun können.
    Sie grinste noch breiter und
sagte: «Wer zählt schon mit?»
    «Hast du ‘ne Minute Zeit?»
    Das Telefon klingelte. Sie
kritzelte eine Nummer auf einen Block, drückte auf einen Knopf an ihrem
Mikrofon und sang hinein: «Kelton Street. Wer macht’s?»
    Pause. Dann füllte eine
blecherne Stimme den Raum. «Scotty. Park und Beacon.»
    «Eins-acht-fünf», sagte sie.
«Dritter Stock. Ein Typ namens Booth. Hast du’s?»
    «Gebongt.»
    «Ende.»
    «Ich kann zwischendurch mit dir
reden, Carlotta», sagte sie. «Ein sonniger Tag. Warm. Die Leute gehen zu Fuß.»
    «Läuft das Geschäft?»
    Sie hob eine fette Hand und
winkte damit hin und her. Kaum jemand weiß, daß Gloria Mitinhaberin von G&W
ist. Sam Gianelli, der glattzüngige Sohn eines zwielichtigen Kerls aus der
Bostoner Mob-Szene, ist Glorias Partner. Sam, der sich darauf spezialisiert
hat, kleine Unternehmen herunterzuwirtschaften, hatte sie mit hereingenommen,
als er wieder einmal knapp vor der Pleite stand; er pumpte Geld aus ihrer
Versicherungsabfindung in die müden Adern von G&W und richtete ihr als
Gegenleistung das rollstuhlfreundliche Hinterzimmer ein.
    Wahrscheinlich das Cleverste,
was er je getan hatte.
    Sam und ich hatten was
miteinander gehabt. Er war der Grund dafür, daß ich die Garage mit gemischten
Gefühlen betrat. Ich war ein paarmal mit ihm ausgegangen. Ich wurde sogar durch
die Erfahrung klüger: Schlaf nie mit dem Boss.
    «Wette, du bist nicht
vorbeigekommen, um zu fragen, wie das Geschäft läuft», sagte sie. «Was gibt’s?»
    «Sam ist wohl nicht hier,
oder?»
    «Liegt dir was dran?»
    Jeder will ein Psychologe sein.
«Eugene Devens», sagte ich ausdruckslos. «Ist er auf Sauftour?»
    Sie sagte: «Scheiße, Carlotta,
ich mag diese Sache mit Gene überhaupt nicht. Er hat nicht mal sein Taxi
hergebracht. Hat es unten an den Docks gelassen, und sie haben es zu dem
gottverdammten Cambridge-Schrottplatz geschleppt.»
    «Dem mit den zwei
Dobermännern?»
    «Genau.»
    «Vielleicht hat er sich
davongemacht, um die Abschleppgebühr nicht bezahlen zu müssen.»
    Gloria zuckte ihre massigen
Achseln. Von der Taille aufwärts kann sie sich gut bewegen.
    «Hat er so was schon mal
gemacht?»
    «Im großen und ganzen ist er
zuverlässig.»
    «Und was meinst du dazu?»
    Gloria aß ihr Kuchenteilchen
auf und fegte die Krümel sorgsam von ihrem Schreibtisch, um die unten lebenden
Tierchen zu füttern. «Hast

Weitere Kostenlose Bücher