Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens
Geschwätz und entledigte sich des Mannes, indem er ihn mit einem Auftrag zu Herrn von Tucher schickte.
Aber als er dann mit Daumer sprach, erregte dessen Zerfahrenheit sein Befremden. Um ihn nicht noch mehr zu verwirren, legte Feuerbach das Verhör mit ihm so an, daß es mehr einerfreundschaftlichen Unterhaltung glich. Daumer erinnerte sich der geheimnisvollen Begegnung, die Caspar vor der Egydienkirche gehabt hatte, und rückte damit heraus.
»Und davon erfährt man jetzt erst?« brauste der Präsident auf. »Und hatte die Sache keine unmittelbaren Folgen? Haben Sie nachher nichts Verdächtiges beobachtet?«
»Nein,« stotterte Daumer, in Furcht gesetzt durch den stählern durchdringenden Blick des Präsidenten. »Das heißt, eines fällt mir noch ein: ich traf am selben Abend bei Frau Behold einen Herrn, der sich mir gegenüber in ganz seltsamen Andeutungen oder Warnungen gefiel, wie man es auffassen soll, weiß ich nicht.«
»Was war der Mann? Wie hieß er?«
»Man sagte, es sei ein zugereister Diplomat, des Namens entsinne ich mich nicht. Oder doch, jawohl: Herr von Schlotheim-Lavancourt; er soll sich aber unter falschem Namen hier aufgehalten haben.«
»Wie sah er aus?«
»Dick, groß, ein wenig pockennarbig, ein hoher Fünfziger.«
»Schildern Sie mir das Gespräch mit ihm.«
Daumer gab, so gut er es vermochte, den Inhalt der Unterredung. Feuerbach versank in langes Nachdenken, dann schrieb er einige Notizen in sein Taschenbuch. »Lassen Sie uns zu Caspar gehen,« sagte er, sich erhebend.
Caspars Stirn war noch verbunden; das Gesicht war beinahe so weiß wie das Tuch; auch das Lächeln, womit er den Präsidenten empfing, war gleichsam weiß. Er hatte bereits drei oder vier Verhöre überstanden; schon beim ersten hatte er alles Erzählenswerte erzählt; das hielt denguten Amtsschimmel nicht ab, immer wieder von neuem anzutraben, man fragte die Kreuz und Quer, um das Opfer auf einem Widerspruch zu erwischen; mit Widersprüchen kann man arbeiten, wenn einer jedesmal dasselbe sagt, wird die Geschichte aussichtslos. Der Präsident unterließ das Fragen; er fand einen veränderten Menschen in Caspar; es war etwas Beklommenes an ihm, sein Blick war weniger frei, nicht mehr so tiefstrahlend und seltsam ahnungslos, näher an die Dinge gekettet.
Während die Frauen sich über Caspars Befinden befriedigt äußerten, kam auch der Arzt und bestätigte gern, daß von irgendwelcher Gefahr keine Rede mehr sein könne. In einem Ton, der mehr Befehl als Wunsch enthielt, sagte der Präsident, er hoffe, daß in diesen Tagen fremde Besucher ohne Ausnahme abgewiesen würden. Daumer erwiderte, das verstehe sich von selbst, erst diesen Morgen habe er einem betreßten Lakaien abschlägigen Bescheid geben lassen.
»Es war der Diener eines vornehmen Engländers, der im Gasthof zum Adler wohnt,« fügte Frau Daumer hinzu; »er war übrigens nach einer Stunde noch einmal da, um sich ausführlich zu erkundigen, wie es Caspar ginge.«
Es klopfte an die Tür, Herr von Tucher trat ein, begrüßte den Präsidenten und machte nach kurzer Weile eine überraschende Mitteilung: derselbe Engländer, ein anscheinend sehr reicher Graf oder Lord, habe dem Bürgermeister einen Besuch abgestattet und ihm hundert Dukaten überreicht als Belohnung für denjenigen, dem es gelingen würde, den Urheber des an Caspar verübten Überfalls zu entdecken.
Ein erstauntes Schweigen entstand, welchesder Präsident mit der Frage unterbrach, ob man wisse, weshalb sich der Fremde in der Stadt aufhalte. Herr von Tucher verneinte. »Man weiß nur, daß er vorgestern abends angekommen ist,« antwortete er; »ein Rad seines Wagens soll in der Nähe von Burgfarrnbach gebrochen sein, und er wartet hier, bis der Schaden ausgebessert ist.« Der Präsident zog die Brauen zusammen, Argwohn umdüsterte seinen Blick; so wird der Jagdhund stutzig, wenn sich abseits von verwirrenden Fährten eine neue Spur zeigt. »Wie nennt sich der Mann?« fragte er scheinbar gleichgültig.
»Der Name ist mir entfallen,« entgegnete Baron Tucher, »doch soll es in der Tat ein hoher Herr sein, Bürgermeister Binder preist seine Leutseligkeit in allen Tönen.«
»Hohe Herren gelten schon für leutselig, wenn sie einem auf den Fuß treten und sich nachher freundlich entschuldigen,« ließ sich Anna, die an Caspars Bett saß, naseweis vernehmen. Daumer warf ihr einen strafenden Blick zu, doch der Präsident brach in eine schmetternde Lache aus, die auf alle ansteckend wirkte; noch
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