Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Titel: Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
Vom Netzwerk:
darf. War es eine Verblendung, eine Anmaßung von mir? Wir wollen sehen; ich muß jetzt herausbekommen, ob er schon zu den Gewöhnlichen gehört oder ob sein Wille noch einer unhörbar rufenden Stimme zu gehorchen fähig ist. Hat sich sein Ohr jedem Geisterhauch und -schall schon verschlossen, dann ist seine Lüge eine Lüge wie jede andre, kann ich aber noch übersinnliche Kräfte des Verstehens in ihm wecken, dann will ich die Philister verachten, die immer gleich mit dem Bakel erscheinen.
    Es bedurfte einer schlaflosen Nacht, um dem sonderbaren Plan Daumers, der eine Art Gottesurteil in sich schließen sollte, auf die Beine zu helfen. Die Weigerung Caspars, sein Tagebuch zu zeigen, gab den Anstoß. Ich will ihn bewegen, mir aus eignem Trieb das Heft zu bringen, kalkulierte Daumer; ich will etwas wie eine metaphysische Kommunikation zwischen mir und ihm herstellen; ich werde ihn, ohne ein Wort zu sprechen, mit meinem geistigen Verlangen zu erfüllen trachten und werde eine Stunde festsetzen, innerhalb deren das nur Gewünschte zu geschehen hat. Kann er folgen, so ist alles gut; wenn nicht, dann ade, Wunderglaube, dann hat dieser beredsame Materialist recht gehabt, mir die Seele wegzudisputieren.

Am Morgen, so gegen neun Uhr, kam Anna zu ihrem Bruder und sagte, Caspar gefalle ihrheute ganz und gar nicht; er sei schon um fünf aufgestanden und es sei eine Unruhe in ihm, die sie noch nie wahrgenommen; beim Frühstück habe er fortwährend ängstlich um sich herumgeschaut und keinen Bissen gegessen.
    Daumer lächelte. Sollte er jetzt schon spüren, was ich mit ihm vorhabe? dachte er, und seine Stimmung wurde mild und zuversichtlich.
    Ein schicklicher Vorwand, die Frauen aus dem Haus zu schaffen, fand sich ungezwungen; Frau Daumer mußte ohnehin auf den Markt, Anna wurde überredet, einige Besuche zu machen. Um elf Uhr machte sich Caspar an seine Schularbeiten, Daumer ging ins Nebenzimmer, ließ aber die Tür offen. Er setzte sich, das Gesicht gegen Caspars Platz gerichtet, ein wenig hinter der Schwelle auf ein Stühlchen, und es gelang ihm alsbald, mit erstaunlicher Energie all seine Gedanken auf das eine Ziel zu richten, auf dem einen Punkt zu sammeln. Im Haus war es sehr still, kein Laut störte das wunderliche Beginnen.
    Bleich und gespannt saß er also und beobachtete, daß Caspar häufig aufstand und zum Fenster trat. Einmal öffnete er das Fenster, das andre Mal schloß er es wieder. Dann begab er sich zur Tür und schien zu überlegen, ob er hinausgehen solle. Sein Auge war ohne Stetigkeit und sein Mund eigentümlich gramvoll verzogen. Aha, es rumort in ihm, frohlockte Daumer, und immer, wenn Caspar sich dem Schränkchen näherte, in dem das blaue Heft wahrscheinlich lag, bekam der unglückliche Magier vor Erwartung Herzklopfen.
    Wie weit war Caspar davon entfernt, auch nur zu ahnen, was in Daumer vorging! zuahnen, daß in dieser Stunde sein Geschick und Wesen vor ein Tribunal gestellt wurde!
    Es war ihm ungeheuer bang heute. Es war ihm so bang, daß er ein paarmal die ganz bestimmte Vorstellung hatte, es würde ihm etwas Schlimmes zustoßen. Ja, er hatte das unabweisbare Gefühl, daß einer unterwegs sei, der ihm etwas zuleide tun werde. Erstickend lag die Luft im Raum, die Wolken am Himmel blieben lauernd stehen; wenn durch die Baumkronen vor dem Fenster eine Schwalbe strich, sah es aus, als ob eine schwarze Hand pfeilschnell auf- und niedertauche; das Deckengebälk bog sich niedriger, hinter dem Getäfel der Wand knackte es unheimlich.
    Caspar ertrug es nicht mehr. Sein Blick stach, eine kühlschaurige Angst floß ihm durch die Haare, die Brust wurde eng, es trieb ihn hinaus, hinaus ... Plötzlich verließ er mit fliehenden Gebärden das Zimmer.
    Ruhig blieb Daumer sitzen und stierte vor sich hin wie einer, der aus dem Rausch erwacht. Vorüber, die Frist war verstrichen. Er schämte sich sowohl seiner Niederlage als auch seines vermessenen Unterfangens, denn er war ja ein gescheiter Kopf und hatte Selbstbesinnung genug, um die spielerische Willkür dessen, was er gewollt, ernüchtert zu empfinden.
    Trotzdem ergriff ihn eine finstere Gleichgültigkeit. Der Hoffnungen zu gedenken, die sich noch vor kurzem an den Namen Caspar geknüpft, verursachte ihm einen schalen Geschmack auf der Zunge. Er faßte den unerschütterlichen Vorsatz, sein Leben wie ehedem dem Beruf, der Einsamkeit und den Studien zu widmen und die Kräfte des Geistesnur dort zu opfern, wo im Frieden der Erkenntnis und des Forschens jede Gabe

Weitere Kostenlose Bücher