Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens
untersetzte feiste Gestalt schien plötzlich drohend zu wachsen, »aber wird er es darum schon billigen? Wenn man Stein und Stahl zusammenschlägt, gibt es Funken; wehe aber, wenn bloß Schmutz und Krümel vom Stein fliegen. Da ist keine Dauer und keine Tüchtigkeit der Natur.«
Er kanzelt mich schon wieder ab, dachte Daumer, und die Röte des Unwillens stieg ihm ins Gesicht. »Ich habe getan, was in meinen Kräften stand,« sagte er hastig und mit Trotz. »Ich verschließe Caspar nicht mein Haus. Und mein Herz schon ganz und gar nicht. Aber erstens kann ich keine Gewähr für seine Sicherheit mehr leisten, und ich glaube, niemand kann es. Wie ist es möglich, Säemann zu sein auf einem Acker, unter dem ein verderbliches Feuer gloset und jeden Samen verbrennt? Und dann, was mehr ist, ich bin enttäuscht, ich gestehe es, ich bin enttäuscht. Nie will ich vergessen, was mir Caspar gewesen ist, wer könnte ihn auch vergessen! Aber das Wunder ist vorüber, die Zeit hat es aufgefressen.«
»Vorüber, ja vorüber,« murmelte Feuerbach düster, »das Wort mußte fallen. Die Augen werden stumpf vom Schauen ins Licht. Die Söhne werden verstoßen, wenn sie unsrer Liebe ein Übermaß abnötigen. Aber der Bettler kriegt seine Bettelsuppe. Meine geschätzten Herren,« fuhr er laut und förmlich fort, »tun Sie, wie Ihnen beliebt; in jedem Fall, dessen seien Sie eingedenk, bleiben Sie mir für das Wohl Caspars verantwortlich.«
Als Daumer auf der Straße war, ärgerte er sich noch immer über den Ton und die Worte des Präsidenten. Doch zugleich konnte er sich seine Selbstunzufriedenheit nicht verhehlen. In einer der verödeten Straßen nahe der Burg begegnete er dem Rittmeister Wessenig. Daumer war froh, eine Ansprache zu haben, und begleitete den Mann bis zur Reiterkaserne. Von Anfang an lenkte der Rittmeister die Unterhaltung auf Caspar, und Daumer bemerkte nicht oder wollte nicht bemerken, daß die Gesprächigkeit des Rittmeisters einen hohnvollen Beigeschmack hatte.
»Eine geheimnisvolle Sache, das mit dem Vermummten,« meinte Herr von Wessenig, plötzlich deutlicher werdend. »Sollte es Leute geben, die daran ernstlich glauben? Am hellichten Tag dringt ein Kerl, ein Kerl mit Handschuhen, bitte, dringt in ein bewohntes Haus, hängt sich einen Schleier übers Gesicht und zieht ein Beil aus der Tasche? Oder sollte er das Beil vorher offen über die Straße getragen haben? Mit Handschuhen, wie? Beim heiligen Tommasius, das ist eine gewaltige Räuberhistorie!«
Da Daumer nichts antwortete, fuhr der Rittmeister eifrig fort: »Nehmen wir einmal an, derfamose Vermummte hat die Absicht gehabt, den Burschen zu töten. Warum dann die unbedeutende Wunde? Er brauchte ja nur ein bißchen kräftiger zuzuschlagen und alles war aus, der Mund, der ihn verraten mußte, war stumm. Man muß rein glauben, der behandschuhte Mörder hat sein Opfer einstweilen nur ein bißchen kitzeln wollen. Wahrhaftig, eine kitzlige Geschichte. Alle meine Bekannten,
parole d’honneur,
lieber Professor, sind empört über die Leichtgläubigkeit, die sich von so albernem Spuk zum besten halten läßt.«
Daumer hielt es für unter seiner Würde, Zorn oder Entrüstung zu zeigen. Er stellte sich, als hätte er nicht übel Lust, dem Rittmeister beizustimmen, und fragte gelehrig, wie man sich aber den ganzen Vorgang zu denken habe. Herr von Wessenig zuckte vielsagend die Achseln; er mochte heftiges Aufbrausen und scharfe Zurechtweisung erwartet haben, und weil dies nicht eintraf, legte er sein verhalten-feindseliges Wesen ab, war jedoch vorsichtig genug, sich nur in allgemeinen Vermutungen zu äußern. »Vielleicht ist der gute Hauser betrunken gewesen und auf der Treppe gefallen und hat dann die Mordsgeschichte ausgeheckt, um sich interessant zu machen. Das wäre ja noch harmlos. Andre sehen bei weitem schwärzer; man traut dem Halunken schon zu, daß er seine Wohltäter durch einen feingefädelten Streich hinters Licht geführt hat.«
Jetzt vermochte Daumer nicht mehr an sich zu halten. Er blieb stehen, wehrte mit beiden Händen ab, als drängen die Reden seines Begleiters wie giftige Fliegen auf ihn ein, und stürzte ohne Wort noch Gruß davon.
Das ist also die Welt, das sind ihre Stimmen, dachte er bestürzt; das zu denken, ist möglich, es auszusprechen, steht jedem Mund frei! Und dieser Abgrund von Unsinn und Bosheit soll dich verschlingen, armer Caspar! Wenn du auch nicht der Himmelszeuge bist, den ich wähnte, über ihnen schwebst du doch wie der Adler
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