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Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Titel: Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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Entstehung darin, daß ein Mitschuldiger geplaudert, oder mit seinem Vertrauen zu freigebig gewesen, oder eine Unvorsichtigkeit begangen, oder sein Gewissen erleichtern wollte, oder seine getäuschten Hoffnungen zu rächen sich vorgesetzt, oder im stillen die Entdeckungder Wahrheit herbeizuführen gesucht, ohne die Rolle des Verräters spielen zu müssen.
    Der Präsident nannte nicht bloß die Dynastie mit Namen und das Land, das ihr erbeigen war, er nannte auch den Fürsten, dessen plötzlicher Tod vor mehr als einem Jahrzehnt Argwohn erregt hatte, er nannte die Fürstin, die, von hocherlauchter Abkunft, in selbsterwählter Einsamkeit ein unfaßbares Geschick betrauerte; er nannte diejenigen, die so über Leichen hinweg zum Thron geschritten, und neben dem Bild eines schwachen, doch ehrgeizigen Mannes tauchte die Gestalt eines Weibes auf, voll von dämonischem Wesen, der regierende Wille über dem grausen Geschehen.
    Es war etwas von der Bitterkeit eignen Erlebens in den unumwundenen Hinweisen des Präsidenten. Denn er kannte die höfische Welt, in der Tücke und Hinterlist in eine Wolke von Wohlgerüchen gebettet sind und wo die Niedertracht ihre Opfer mit heuchlerischen Gnaden betäubt; er hatte ihre Luft geatmet, er hatte von ihren Tischen gespeist, von ihrem Gift genossen, den besten Teil seines Lebens und seiner Kräfte in ihrem Dienst vergeudet und war für die reinste Hingebung mit Schmach und Verfolgung belohnt worden; er kannte ihre Kreaturen und Helfershelfer, er kannte sie, denen die Geschichte nichts bedeutet als eine Stammbaumchronik, Religion eine Priesterlitanei, Philosophie einen fluchwürdigen Jakobinismus, Politik einen Blindekuhreigen mit Noten und Protokollen, der Staatshaushalt ein Rechenexempel ohne Probe, Menschenrechte ein Pfänderspiel, der Monarch ein Schild ihrer eignen Größe, das Vaterland ein Pachtgut und Freiheit das sträfliche Vermessen aberwitziger Toren. Die unersetzlichen Jahre schrien hinterseinen Worten hervor, erlittene Zurücksetzung und ein verfinsterter Geist. Er wollte seiner selbst nicht gedenken, doch die Worte entschleierten seinen Gram, wenn auch nicht für das Auge des Königs, der nur zu lesen brauchte, was geschrieben stand.
    Die Schrift ward unter Anwendung peinlicher Vorsicht abgesandt, damit sie in keine andern Hände als in die des Regenten gerate, und der Präsident wartete von Woche zu Woche vergeblich auf Erwiderung, auf einen Bescheid, auf irgendein Zeichen. Da kam die Kunde von dem Mordanfall auf Caspar. Feuerbach reiste nach Nürnberg; seine eignen Maßnahmen hatten so wenig Erfolg wie die der Polizei. Am zehnten Tag seines Aufenthalts erhielt er ein Schreiben aus der königlichen Privatkanzlei, worin mit gebührendem Dank von seinen Mitteilungen Notiz genommen und mit Anerkennung des nicht genug zu bestaunenden Scharfsinns in der Entwirrung verwickelter Verhältnisse gedacht war, das aber in allen wesentlichen Punkten eine spröde Zurückhaltung zeigte; man werde prüfen; man werde überlegen; man müsse abwarten; gewichtige Rücksichten seien zu beachten; leicht erklärliche Beziehungen legten unbequeme Pflichten auf; die Natur des Unglaublichen selbst veranlasse eher zur Verwunderung, zur Bestürzung als zu unbesonnenem Eingreifen; doch verspreche man, ja man verspreche; vor allem werde Schweigen empfohlen, unbedingtes Schweigen; bei Verlust aller Gnade dürfe keine derartige Kunde als authentisch durch den Mund eines hohen Staatsbeamten nach außen dringen: man erwarte über den Punkt Verständigung und Unterwerfung.
    Die Wirkung dieses geheimen Erlasses, mit welchem man ihm zugleich schmeichelte und drohte, der einer freundlich dargereichten Hand glich, worin der geschliffene Dolch blitzte, war um so heftiger, als der Inhalt längst geahnt und gefürchtet war. Feuerbach schäumte. Er zertrat das Sendschreiben mit den Füßen; er rannte mit keuchender Brust, die Fäuste gegen die Schläfen gedrückt, eine ganze Weile im Zimmer auf und ab, dann stürzte er aufs Bett, das Sausen seiner Pulse beängstigte ihn und er erlöste sich schließlich in einem lauten, langen Gelächter voll Wut und Zorn.
    Dann blieb er stundenlang liegen und konnte nichts andres denken als das einzige Wort: Schweigen, Schweigen, Schweigen.
    An demselben Nachmittag war der Bürgermeister Binder mehrmals im Gasthof gewesen und hatte den Präsidenten zu sprechen gewünscht. Der Kellner war stets mit dem Bescheid zurückgekommen, sein Pochen sei vergeblich, der Herr Staatsrat scheine

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