Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens
über Koboldsgezücht. Freilich, sie werden dir die Flügel brechen; vergebens wird die Schuldlosigkeit aus deinem Innern strahlen, sie werden es nicht sehen; vergebens wirst du vor ihnen weinen und vergebens lächeln, du wirst ihre Hand fassen und vor Kälte schaudern, du wirst sie anblicken, und sie werden stumm sein, angstvoll sucht dein Geist die Wege zu ihnen und Verrat führt dich auf den verderblichsten von allen ...
Man ist Prophet und hat ein mitleidiges Gemüt; man kennt die Menschen, man weiß, daß das Feuer brennt, daß die Nadel sticht, und daß der Hase, wenn er angeschossen wird, ins Gras fällt und stirbt; man kennt die Folgen dessen, was man tut, nicht wahr, Herr Daumer? Aber ist dies etwa ein Grund, den Geschehnissen, wie einem Feind, der das Schwert erhoben hat, in die Arme zu fallen und den Schlag abzuwenden? Nein, es ist kein Grund. Oder ist es nur Grund, ein kleines Entschlüßchen rückgängig zu machen? Nein, es ist kein Grund. Darin haben die Idealisten und Seelenforscher nichts voraus vor Dieben und Wucherern.
Man geht nach Hause, philosophierend geht man nach Hause, legt sich schlafen, und am nächsten Morgen sieht die Welt weit annehmbarer aus als am gestrigen, reichlich verstimmten Abend.
Das Amselherz
Vierundzwanzig Stunden später hält eine Kutsche vor dem Daumerschen Haus, und Frau Behold selber kommt, um Caspar zu holen. Wirklich, Frau Behold hat sich’s etwas kosten lassen, eine schwarzlackierte Kutsche mit zwei Pferden und einen Mann mit goldenen Knöpfen auf dem Bock.
Caspar wird von Daumer und den beiden Frauen zum Tor geleitet, auch der Kandidat Regulein verläßt seine Junggesellenklause. Anna kann sich der Tränen nicht erwehren, Daumer blickt finster vor sich hin, Frau Behold gibt dem Kutscher ein Zeichen, die Rosse schnauben, die Räder rollen und die Zurückbleibenden schauen stumm in die Dunkelheit, die das Gefährt verschlingt.
Das war der Abschied, und Caspar war’s, als gehe es weit fort. Aber es ging nur von einem Haus auf der Schütt zu einem Haus am Markt. Es war dies ein schmales, hohes Haus, welches so eingepreßt stand zwischen zwei andern, daß es aussah, als fehle ihm die Luft zum Atmen. Es hatte einen gezinnten Giebel, steilabhängend wie die Schultern eines verhungerten Kanzlisten, die Fenster hatten nichts Freischauendes, sondern etwas Blinzelndes, das Tor war seltsam versteckt und innen wand sich eine dunkle Treppe in vielen Biegungen, gleichsam in vielen Ausreden durch die Stockwerke; die alten Treppen knarrten und stöhnten bei jedem Schritt, und wenn die Türen geöffnet wurden, floß nur ein dämmeriges Licht aus den Stuben.
Caspar wohnte in einem Gemach gegen den viereckigen Hof; vor den Fenstern lief eine Holzgaleriemit verschnörkeltem Geländer, auf jeder Seite waren grünverhangene Glastüren, und unten stand ein eiserner Brunnen, aus dem kein Wasser floß.
Das Wunderliche lag darin, daß draußen der Markt war, wo viele Menschen laut redeten, wo die Händler ihre kleinen Läden und Verkaufszelte hatten, wo von morgens bis abends Frauen feilschten, Kinder kreischten, Rosse wieherten, das Geflügel gackerte, und daß man bloß das Tor hinter sich zu schließen brauchte und es wurde so still, als ob man in die Erde hineingestiegen sei.
Dies machte Caspar im Anfang Spaß. Es glich einem Versteckenspiel, er fand es lustig, sich zu verstecken, und gelegentlich sah er es darauf ab, ein andres Gesicht zu zeigen, als ihm zu Sinn war, oder andre Dinge zu sagen, als man von ihm erwartete. An einem der ersten Tage verlor Frau Behold ein silbernes Kettchen; Caspar behauptete, es im Vorplatz gesehen zu haben, obwohl er es keineswegs gesehen hatte.
Es wurde ihm verboten, ohne Erlaubnis das Haus zu verlassen. Er fragte, wer es verboten habe, da wurde ihm geantwortet, Frau Behold habe es verboten, und als er sich an Frau Behold wandte, sagte sie, der Magistratsrat habe es verboten, und als er sich an den Magistratsrat wandte, sagte der, der Präsident habe es verboten. Dermaßen war alles verzwickt und versteckt in diesem Haus.
Einmal wollte Frau Behold in sein Zimmer gehen; sie fand es versperrt, er hatte von innen zugeriegelt. »Was sperrst du dich denn ein am hellichten Tag?« fragte sie und schnüffelte auf dem Tisch herum, wo seine Bücher und Schularbeitenlagen. »Fürchtest du dich vielleicht?« fuhr sie zungengeläufig fort. »Bei mir brauchst du dich nicht zu fürchten, bei mir gibt es keine vermummten Spitzbuben.« Er gab zu, daß er sich
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