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Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Titel: Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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willst du denn fortgehen?« fuhr sie auf. »Wohin denn? Wo bist du denn daheim, wenn man fragen darf?«
    Es entstand jetzt in Frau Behold die Meinung, daß Caspar in ihre Tochter verliebt sei. Sie legte es darauf an, ihn über den Punkt auszuholen. Auf ihre Fragen antwortete er jedoch so blöde, daß sie sich beinahe ihres Verdachts geschämt hätte.
»Grand Dieu,«
sagte sie lautvor sich hin, »mir scheint, der Einfaltspinsel weiß nicht einmal, was Liebe ist!« Ja, noch mehr, sie spürte, daß er sich nicht einmal im entferntesten einen Gedanken darüber machte. Das war der guten Dame doch überaus seltsam, ihr, deren Begierden und Gelüste immer im trüben Gewässer halb romanhafter, halb schlüpfriger Leidenschaften plätscherten, so tugendhaft sie auch vor ihren Mitbürgern sich halten mußte.
    Er ist doch aus Fleisch und Blut, kalkulierte sie, und wenn schon der närrische Daumer in allen Tönen von seiner Engelsunschuld schwärmt, als erwachsener Mensch weiß man, was der Hahn mit den Hühnern treibt. Er heuchelt, er hält mich zum besten; warte, Kerl, ich will dir den Gaumen trocken machen.
    Auf dem Markt, zur Rechten vor dem Beholdschen Haus, stand der sogenannte schöne Brunnen, ein Meisterwerk mittelalterlich-nürnberger Kunst. Seit grauen Zeiten erzählte man den Kindern, daß der Storch die Neugeborenen aus der Tiefe des Brunnens hole. Frau Behold fragte Caspar, ob er davon vernommen habe, und als er verneinte, sah sie ihn mit schlauem Augenzwinkern an und wollte wissen, ob er daran glaube. »Ich seh’ nur nicht, wo der Storch da hinunterfliegen kann,« antwortete er harmlos, »es ist ja alles mit Gittern vermacht.«
    Frau Behold staunte. »Ei du Tropf!« rief sie aus, »schau mich einmal aufrichtig an!«
    Er schaute sie an. Da mußte sie die Augen senken. Und plötzlich erhob sie sich, eilte zur Kredenz, riß eine Lade auf, schenkte sich ein Glas Wein voll und trank es auf einen Zug leer. Sodann ging sie ans Fenster, faltete die Händeund murmelte mit einem Ausdruck von Stumpfsinn: »Jesus Christus, bewahre mich vor Sünde und führe mich nicht in Versuchung.«
    Es bedarf kaum der Erwähnung, daß sie sonst eine höchst aufgeklärte Dame war, die sich das ganze Jahr nicht in der Kirche sehen ließ.
    Es war schon Mitte August und große Hitze herrschte. An einem Sonntag veranstaltete der Bürgermeister ein Waldfest im Schmausenbuk; Caspar war am Morgen mit dem Stallmeister Rumpler und einigen jungen Leuten bis Buch geritten und war so müde, daß er nach Tisch in seinem Zimmer einschlief. Frau Behold weckte ihn selbst und hieß ihn sich ankleiden, da der Wagen warte, der sie zum Festplatz bringen sollte. Auf Caspars Frage, ob noch wer mitgehe, erwiderte sie, zwei Knaben führen mit hinaus, die Söhne des Generals Hartung. Da sagte Caspar enttäuscht, er wünschte, daß Frau Behold ihre Tochter mitgehen lasse, denn die werde sich grämen, wenn sie zu Hause bleiben müsse. Frau Behold stutzte und wollte zornig werden, nahm sich aber zusammen. Sie beugte sich vor, ergriff mit der Hand einen Bündel Locken auf Caspars Kopf und sagte boshaft: »Ich schneide dir die Haare ab, wenn du wieder davon anfängst.«
    Caspar entwand sich ihr. »Nicht so nahe,« flehte er mit aufgerissenen Augen, »und nicht schneiden, bitte!«
    »Hab’ ich dich!« drohte Frau Behold, gezwungen scherzend. »Hab’ ich dich, furchtsames Menschlein? Noch ein Widerpart, und ich komme mit der Schere!«
    Während der Fahrt blieb Caspar schweigsam. Die beiden Knaben, die vierzehn und fünfzehnJahre alt waren, neckten ihn und suchten etwas aus ihm herauszulocken, da sie stets wie über eine Art Wundertier über ihn sprechen gehört hatten. Nach Schuljungengewohnheit fingen sie an, prahlerische Reden zu führen, als ob es keine gelehrteren und scharfsinnigeren Menschen gäbe. Weit auf der Landstraße draußen rief der eine, er höre schon die Musik aus dem Wald, da entgegnete Caspar, ärgerlich über das Wesen, das die beiden von sich machten, das wundre ihn, er höre nichts, dagegen sehe er auf einer hohen Stange fern über den Bäumen eine kleine Fahne. »O die Fahne,« meinten jene geringschätzig, »die sehen wir schon lang!« Auch hierüber wunderte sich Caspar, denn er hatte sie erst im Augenblick wahrgenommen, ein schmales Streifchen, das nur im Wehen des Windes sichtbar war.
    »Gut,« sagte er, »wenn sie wieder weht, will ich euch fragen, ob ihr es bemerkt.« Er wartete eine Weile und stellte dann, während die Fahne ruhig war, die

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