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Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Titel: Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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nicht etwa die Geschäfte eines Spions?«
    Stanhope zuckte zusammen. »Einen Anwurf solcher Art erlauben Sie mir wohl mit Schweigen zu übergehen,« entgegnete er mit gelassenem Hochmut.
    »Aber was soll das,« fuhr Herr von Tucher fort, »wie soll ich den Augenschein deuten? Mir ahnt, Herr Graf, eine innere Stimme verrät es mir, daß hier nicht alles auf geraden Wegen vor sich geht.«
    Der Lord geriet in Verwirrung; er preßte die eine Hand an die Stirn, und mit flehendem Ton sagte er: »Ich bedarf mehr des Mitleids und der Nachsicht, als Sie denken, Baron.« Er zog das Taschentuch aus der Brusttasche, drückte es vor die Augen und begann plötzlich zu weinen, wirkliche, unverstellte Tränen. Herr von Tucher war sprachlos. Seine erste Regung war ein düsterer Argwohn und der Verdacht, daß alle trüben undversteckten Redereien über Caspars Schicksal eines ernstlichen Grundes doch nicht entbehren mochten.
    Stanhope, als ahne er, was in dem klugen Manne vorging, faßte sich schnell und sagte: »Nehmen Sie sich eines schwankenden Herzens an. Ich tappe im Dunkeln. Ja, es will in Worte gebracht sein, ich zweifle an Caspar! Ich vermag ihn nicht loszusprechen von gewissen Unaufrichtigkeiten und heuchlerischen Künsten ...«
    »Auch Sie also!« konnte sich Herr von Tucher nicht enthalten auszurufen.
    »Und ich fahnde nach Beweisen.«
    »Diese Beweise suchen Sie in Schubladen und Schränken, Herr Graf?«
    »Es handelt sich um geheime Aufzeichnungen, die er mir vorenthielt.«
    »Wie? Geheime Aufzeichnungen? Davon ist mir nicht das mindeste bekannt.«
    »Sie sind nichtsdestoweniger vorhanden.«
    »Vielleicht meinen Sie am Ende das Tagebuch, das er vom Präsidenten erhalten hat?«
    Stanhope griff diesen Gedanken, der ihn aus der schiefen Situation halbwegs rettete, mit Vergnügen auf. »Ja, gerade dieses, ohne Frage dasselbe,« beteuerte er rasch, indem er sich zugleich gewisser verräterischer Andeutungen Caspars darüber entsann.
    »Ich weiß nicht, wo er es aufbewahrt,« sagte Herr von Tucher; »ich würde auch Anstand nehmen, es Ihnen in seiner Abwesenheit auszuliefern. Im übrigen weiß ich zufällig, daß er vor einiger Zeit aus demselben Tagebuch das Bildnis des Präsidenten, das sich auf der ersten Seite befand, herausgeschnitten und das Ihre, Herr Graf, an dessen Stelle gesetzt hat.« Damitlangte Herr von Tucher nach einer Mappe, die auf dem Schreibpult lag, zog ein darin befindliches Blatt hervor und reichte es Stanhope. Es war Feuerbachs Porträt.
    Der Lord sah eine Weile darauf nieder, und beim Anschauen dieser jupiterhaften Züge beschlich ihn eine niegekannte Furcht. »Das ist also der berühmte Mann,« murmelte er; »ich bin im Begriff, ihn aufzusuchen, ich erwarte viel von seiner unbestechlichen Einsicht.« Doch alles, was er plante, der Weg dorthin, der Zwang, dem furchtbaren Blick dieser Augen standhalten zu sollen, versetzte ihn in eine Befangenheit, deren er nicht Herr werden konnte.
    »Exzellenz Feuerbach wird zweifellos entzückt sein, Ihre Bekanntschaft zu machen,« sagte Baron Tucher höflich, und da Stanhope sich anschickte zu gehen, bat er ihn, dem Präsidenten seine verehrungsvollen Grüße zu übermitteln.
    Zwei Stunden später sauste der Wagen des Lords auf der Reichsstraße dahin. Es war ein arger Sturm, in Wellen und Spiralen krümmte sich der Staub empor, der Lord kauerte, in Tücher eingehüllt, in der Ecke des Gefährts und wandte keinen Blick von der herbstlich-trübseligen Landschaft. Doch sein krankhaft leuchtendes Auge sah weder Felder noch Wälder, sondern schien die Ebene nach verborgenen Gefahren zu durchspähen. Das Auge eines Besessenen oder eines Flüchtlings. Als kurz vor dem Städtchen Heilsbronn das Gedudel eines Leiermanns hörbar wurde, drückte er die Hände gegen die Ohren, wandte sich ab und stöhnte seine zur Einsamkeit verdammte Qual in das seidene Ruhekissen des Wagens. Danach saß er wieder aufrecht, hart und kalt wie Stahl, ein Hexenlächeln um die dünnen Lippen.
Zweiter Teil
Gespräch zwischen einem, der maskiert bleibt, und einem, der sich enthüllt
    Es regnete in Strömen, als die Kalesche des Lords am späten Abend über den Ansbacher Schloßplatz donnerte. Dazu scheuten die Pferde plötzlich vor einem über den Weg trottenden Hund, und der elsässische Kutscher fluchte in seinem greulichen Dialekt so laut, daß sich hinter den dunkeln Fensterquadraten ein paar weiße Zipfelmützen zeigten. Die Zimmer im Gasthof zum Stern waren vorausgemietet, der Wirt tänzelte

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