Cathérine de Montsalvy
verblüfft. Einige Klafter vor ihnen ragten die Umfassungsmauern einer Art Meierei empor … nur die Umfassungsmauern, denn in der Mitte gab es nichts als geschwärzte Mauerreste, verkohlte Balken, einen stehengebliebenen Spitzbogen, der der Eingang der Kapelle gewesen sein mußte. Das große Portal, herausgerissen und in seinen Angeln hängend, gab den Blick auf den Innenhof der Leprastation frei, der voll ausgeglühten Schuttes lag. Einzig das unheilvolle Krächzen der Raben, die am Himmel kurvten, und das Rauschen des Flüßchens störten die Stille.
Cathérine wurde totenblaß, schloß die Augen und schwankte im Sattel, einer Ohnmacht nahe.
»Arnaud ist tot!« stammelte sie. »Es war sein Geist, den ich gestern nacht gesehen habe!«
Mit einem Satz sprang Gauthier zu Boden. Seine starken Arme hoben die junge Frau aus dem Sattel. Besorgt, weil sie erschreckend blaß war und mit den Zähnen klapperte, bettete er sie auf die Wegböschung und machte sich daran, ihr kräftig die erstarrten Hände zu massieren.
»Dame Cathérine! Vorwärts! … Kommt zu Euch! Habt Mut, ich bitte Euch!« flehte er sie an.
Doch ihr war, als entrinne ihr das Leben, als flösse es ihr aus dem Körper wie Wasser, als schwinde mit ihm ihr Bewußtsein. Verzweifelt gab er ihr zwei Ohrfeigen, sich mit aller Gewalt beherrschend, um sie nicht durch ein Übermaß an Kraft zu töten. Die blassen Wangen wurden schnell wieder rot, Cathérine öffnete die Augen und sah ihn verblüfft an. Er lächelte zerknirscht:
»Verzeiht mir, ich hatte keine andere Wahl! Wartet, ich werde Euch ein wenig Wasser holen.«
Die niedergebrannten Gebäude umgehend, lief er zum Fluß, füllte den Becher, den er am Gürtel trug, und kam zurück, um Cathérine mit der Fürsorglichkeit einer Mutter zu trinken zu geben. Die Wirkung trat sofort und jäh ein; die junge Frau brach in Tränen aus.
Vor ihr stehend, ließ er sie weinen, denn er kannte die beruhigende Macht der Tränen. Er sagte kein Wort, tat nichts, um den schrecklichen Tränenstrom aufzuhalten, der aus ihr hervorbrach. Und mählich beruhigte sich Cathérine … Nach einer kurzen Weile hob sie ihr versteinertes Gesicht mit den verweinten Augen zu dem Normannen.
»Wir müssen herausbekommen, was passiert ist!« sagte sie mit sich festigender Stimme.
Gauthier reichte ihr die Hand, um ihr aufzuhelfen. Sie ließ sie nicht los, glücklich, diese Kraft, diese Wärme zu spüren, die sie für das Kommende brauchen würde. Von ihm gestützt, schritt sie zum zerstörten Portal, über dem noch das Wappen der Abtei Saint-Géraud d'Aurillac zu sehen war, zu der die Leprastation gehörte. Aber ihr Herzschlag setzte einmal aus, als sie über die Schwelle trat, über die Arnaud eines Tages geschritten war … für immer!
Noch liefen ihr Tränen über die Wangen, schwer, unversiegbar, aber sie kümmerte sich nicht darum. Die Zerstörung im Innern war vollkommen, total. Es blieben nur angekohlte, verbogene Trümmer, die Cathérine an die Ruinen von Montsalvy erinnerten. Die Feuersbrunst hatte alles verwüstet, ausgenommen einige besonders dicke Mauern, die dem Brand widerstanden hatten. Aber nirgends war mehr ein Dach, keine einzige Tür, nichts als geborstene Steine, über die Gauthier sich beugte.
»Das Feuer muß erst vor kurzem gewütet haben«, sagte er. »Die Steine sind noch warm!«
»Mein Gott!« seufzte Cathérine mit schwacher Stimme. »Wenn ich daran denke, daß er da unten liegt … mein vielgeliebter Mann … meine Liebe!«
Sie ließ sich zwischen den Trümmern auf die Knie fallen und versuchte, die Steine wegzuräumen, an denen sich ihre zitternden, unbeholfenen Hände verletzten. Gauthier hob sie mit Gewalt auf.
»Bleibt nicht hier, Dame Cathérine, kommt mit mir!«
Aber sie sträubte sich mit unerwarteter Heftigkeit.
»Laß mich … ich will hierbleiben! Er ist hier, sage ich dir!«
»Ich glaub's nicht und Ihr auch nicht! … Aber selbst wenn er hier wäre, was würde es Euch nützen, Euch an diesen heißen Steinen die Finger zu verbrennen?«
»Ich sage dir, er ist tot!« rief Cathérine außer sich. »Ich sage dir, daß ich seinen Geist gestern nacht gesehen habe … Er ist mir erschienen, maskiert, im Zimmer meiner Schwiegermutter. Er hat sich über ihr Bett gebeugt, und dann ist er verschwunden!«
»Und er ist nicht zu Euch ins Zimmer getreten? War die Dame Isabelle wach, oder schlief sie?«
»Sie schlief. Sie hat nichts gesehen! Zuerst glaubte ich an einen Traum, aber jetzt weiß ich,
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