Cathérine de Montsalvy
Arnaud unerbittlich in diesem Nebel verschwinden, in Richtung auf Michels Zimmer. Und dann war nichts mehr als ein schreckliches Gefühl der Verlassenheit, der unabänderlichen Einsamkeit …
»Er ist verschwunden«, dachte Cathérine verzweifelt. »Diesmal werde ich ihn nicht wiedersehen … nie mehr!«
Sie stand bei Sonnenaufgang auf. Draußen stieß Tristan ins Horn und rief die Bretonen in den Sattel. Die Stunde des Aufbruchs war nahe, und Cathérine erhob sich, um dabei behilflich zu sein. Nicht ohne Mühe. Sie fühlte sich schrecklich müde, ihr Kopf war schwer, und die Beine waren schwach. Aber durch das schmale Fenster ihrer Zelle drang ein schöner, zu dieser Morgenstunde noch etwas schüchterner Sonnenstrahl zu ihr, und im anderen Zimmer hörte sie Michel in seinem Bettchen plappern … Sie betupfte sich das Gesicht mit etwas Wasser, beeilte sich beim Ankleiden und kämpfte, so gut sie konnte, gegen einen mehr und mehr peinigenden Eindruck an.
Es gelang ihr nicht, den Traum der vergangenen Nacht aus ihrem Gedächtnis zu löschen. Je mehr sie daran dachte, desto mehr fühlte sie sich versucht zu weinen, denn sie erinnerte sich, schreckliche Geschichten von Leuten gehört zu haben, die ihren Lieben zur Stunde ihres Todes erschienen waren, um ihnen dies anzukündigen. War dieser so realistische Traum nicht eine dieser tragischen Vorwarnungen? Und war Arnaud nicht …? Nein, sie konnte sich nicht einmal das Wort vorstellen! Andererseits … die ungewöhnlich lange Abwesenheit Fortunáis? Wenn er etwa da unten eine schreckliche Neuigkeit erfahren hätte? Vielleicht hatte die Krankheit zu schnelle Fortschritte gemacht …
»Es ist zum Verrücktwerden!« dachte Cathérine laut. »Ich muß Bescheid wissen, Gauthier muß sofort aufbrechen … oder vielmehr, nein, ich werde mit ihm gehen … Donatienne wird meine Schwiegermutter heute noch gut versorgen, und für die schnellen Beine Morganes sind sechs Meilen hin und ebenso viele zurück eine Kleinigkeit. Bis zum Abend sind wir wieder hier!«
Sie eilte, ihren Sohn zu umarmen, stellte nebenbei fest, daß die Dame Isabelle noch schlief, und trat schnell in den Hof. Die Bretonen waren bereits aufgesessen, aber neben dem weit offenstehenden Stall unterhielt Tristan sich mit Gauthier. Sie traten auseinander, als sie Cathérine bemerkten. Sie zwang sich, trotz der Trauer in ihrem Herzen dem Abreisenden zuzulächeln, und streckte ihm die Hand hin:
»Gute Reise, Freund Tristan! Sagt Monseigneur dem Konnetabel, wie dankbar ich ihm bin, daß er Euch zu mir geschickt hat.«
»Bestimmt wird er wissen wollen, wann wir das Glück haben werden, Euch wiederzusehen, Dame Cathérine!«
»Nicht sehr bald, fürchte ich, außer Ihr kommt inzwischen wieder her! Ich habe soviel zu tun in der Auvergne! Es muß alles wieder werden wie früher!«
»Bah! Die Auvergne ist nicht so weit! Ich weiß, daß der König plant hierherzukommen, und wenn er sich endlich mit Richemont ausgesöhnt hat, werden wir vielleicht alle bald vereint sein!«
»Gebe es Gott! Auf Wiedersehen, mein Freund.«
Er küßte die Hand, die sie ihm noch hinhielt, und schwang sich in den Sattel. Die Pforten der Abtei öffneten sich weit vor ihm, gaben den Dorfplatz frei, wo sich die Hausfrauen bereits zusammenrotteten. Tristan l'Hermite setzte sich an die Spitze seiner Truppe, doch im Augenblick, als er über die geweihte Schwelle ritt, drehte er sich um, zog seinen schwarzen Filzhut und schwenkte ihn in die Luft.
»Auf bald, Dame Cathérine!«
»Auf bald, so Gott will, Freund Tristan!«
Einige Augenblicke später waren die schweren Torflügel wieder geschlossen, und der Hof war leer. Cathérine ging auf Gauthier zu, der sich noch neben der offenen Stalltür aufhielt.
»Ich habe heute nacht einen seltsamen Traum gehabt, Gauthier … Traurige Gedanken quälen mich … Außerdem habe ich beschlossen, mit dir Fortunat nachzureiten. Selbst wenn wir bis Calves reiten müssen, glaube ich doch, daß wir noch bei Tag zurückkommen können. Nimm dir ein Pferd und sattle mir Morgane!«
»Das würde ich gerne tun«, erwiderte ruhig der Normanne, »aber leider ist es unmöglich!«
»Und warum?«
»Weil Morgane nicht mehr da ist.«
»Was heißt das?«
»Ich sage die Wahrheit: Morgane ist verschwunden. Seht selbst …«
Verblüfft folgte Cathérine Gauthier in den dunklen Stall. Mehrere Pferde standen noch da, aber es war nur zu wahr, daß sich darunter keine weiße Stute befand. Bewegungslos inmitten des
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