Cathérine de Montsalvy
die erbetene Heilung zuteil geworden? Und Gauthier? Hatte er den Flüchtigen einholen können? Waren sie in dieser Minute zusammen, in der ihr Geist sie vereint sah? So viele Fragen, die, da sie unbeantwortet bleiben mußten, quälend wurden.
»Wenn der Frühling kommt«, nahm Cathérine sich vor, »und ich bis dahin keine Nachricht erhalten habe, breche ich auch auf … Ich werde sie suchen gehen.«
»Wenn sie zurückkehren, dann im Frühling, nicht früher!« entgegnete Sara eines Tages, als die junge Frau aus Versehen laut gedacht hatte. »Wer würde es sich einfallen lassen, über die Berge zu ziehen, wenn der Schnee die Wege unpassierbar gemacht hat? Der Winter richtet unübersteigbare Schranken auf, die selbst der festeste Wille, selbst die zäheste Liebe nicht überwinden können! Du mußt abwarten!«
»Abwarten! Abwarten! … Immer abwarten! Ich habe es satt, dieses Warten ohne Ende!« hatte Cathérine darauf gerufen. »Bin ich denn verdammt, mein Leben in einer Erwartung ohne Ende verrinnen zu sehen?«
Auf diese Fragen zog Sara es vor, nicht zu antworten. Es war besser, die Unterhaltung abzubrechen oder von anderen Dingen zu sprechen, denn wenn man versuchte, mit Cathérine zu rechten, führte es nur dazu, daß sie sich noch mehr in ihrem Kummer vergrub. Die Zigeunerin glaubte nicht an die Möglichkeit einer Heilung Arnauds. Sie hatte noch nie davon gehört, daß die Lepra, wenn sie jemanden einmal befallen hatte, ihn je wieder losließ. Es war sogar erstaunlich, daß Saint-Méen de Jaleyrac, der heilige Spezialist der furchtbaren Krankheit, immer noch Patienten hatte. Offensichtlich war der Ruf San Jagos von Compostela groß, aber Saras Christentum war noch zu stark vom Heidentum gefärbt, als daß sie großes Vertrauen darin hätte. Im Gegenteil, sie war überzeugt, daß man, wenn nicht ein verhängnisvoller Zufall eintrat, früher oder später Nachricht von Gauthier bekommen würde. Das hinderte sie nicht zu seufzen, wenn sie Cathérines kleine, schwarze und zerbrechliche Silhouette in den Schnee hinausgehen sah, um zu lauern, ob er nicht auf der Talstraße auftauchte.
Eines Abends im Februar, nachdem die junge Frau ihren Beobachtungsposten eingenommen hatte, nach einer durch den Frost erzwungenen beschwerlichen Zeit des Klosterlebens, schien es ihr plötzlich, als könnte sie einen dunklen Punkt auf dem weißen Weg erkennen, einen Punkt, der unter den hohen schwarzen Tannen langsam größer wurde. Sofort stand sie auf, mit klopfendem Herzen und keuchendem Atem … Es war bestimmt ein Mann, der aus dem Tal herauskam … Sie konnte einen Streifen des großen Mantels, der ihn einhüllte, im Wind flattern sehen. Er ging mühselig zu Fuß, den Rücken unter dem Nordwind gebeugt … Unwillkürlich machte sie ein paar Schritte ihm entgegen, aber als sie am Rand der Bäume angekommen war, blieb sie enttäuscht stehen. Das war nicht Gauthier … noch viel weniger Arnaud. Der Mann, den sie jetzt leicht ausmachen konnte, war von kleinem Wuchs, offenbar schmal und sehr braun. Einen Augenblick glaubte sie, es sei Fortunat, aber diese Hoffnung zerrann sofort. Der Reisende war ihr vollkommen unbekannt!
Er trug einen grünen Hut, dessen vorn heruntergeklappter Rand hinten hochgeschlagen war und eine Feder trug, die fast nur noch aus dem Kiel bestand, aber das braune Gesicht darunter hatte lebhafte und fröhliche Augen, und der große, geschwungene Mund lächelte, als er die weibliche Silhouette am Wegrand entdeckte. Cathérine konnte sehen, daß sein Rücken unter dem Mantel durch einen ovalen Gegenstand, den er auf der Schulter tragen mußte, entstellt war.
»Ein Hausierer«, dachte Cathérine, »oder ein Minnesänger …«
Sie entschied sich für den Minnesänger, als er ganz nahe herangekommen war. Unter dem schwarzen Mantel war seine Kleidung grün und rot, lebhaft und lustig, wenn auch strapaziert. Der Mann zog den verblaßten Hut, um sie zu grüßen.
»Frau«, sagte er mit einem fremden Akzent, »was für eine Burg ist das, bitte?«
»Montsalvy! Wollt Ihr dahin, Sire Minnesänger?«
»Dahin will ich noch heute abend! Ma, per la Madona ! Wenn alle Bäuerinnen so schön sind wie Ihr, dann ist dies das Paradiso, dieses Montsalvy!«
»O nein, das ist nicht das Paradies«, erwiderte Cathérine, durch den Akzent des Jungen belustigt. »Und wenn Ihr den Anblick eines Schlosses erwartet, Sire Minnesänger, dann habt Ihr Euch getäuscht. Das Schloß Montsalvy existiert nicht mehr. Ihr werdet nur eine
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