Cathérine de Montsalvy
Schweif aus Silberfäden durchzogen. Die Erde trat zuerst wieder als schwarze Flecken, dann als große Flächen zutage, die zaghaft grünten. Ein wenig Blau zerriß das ewige Öde Grau des Himmels, und Cathérine dachte, die Zeit sei jetzt gekommen, sich auf den Weg zu machen.
Mittwoch nach dem Passionssonntag verließen Cathérine und Bruder Eusebius Montsalvy, beide auf Maultieren, die der Abt ihnen zur Verfügung gestellt hatte. Das Wetter war mild, leicht regnerisch, und die Wolken eilten, vom Südwind getrieben, schnell am Himmel dahin. Dem Wind, der, nach Saturnin, »den Schafen die Drehkrankheit gab …«
Der Abschied zwischen Cathérine und Sara war schnell gewesen. Die eine wie die andere vermied einstimmig die Rührseligkeit, die mutlos macht und den Willen schwächt. Außerdem hätte ein herzzerreißender Abschied gewiß den Argwohn des Abtes Bernard erregt. Man weinte nicht wegen einer vierzehntägigen Trennung …
Das Schlimmste war der Abschied von Michel. Mit vor zurückgehaltenen Tränen schweren Augen konnte Cathérine sich nicht genugtun, ihren kleinen Knaben zu umarmen. Sie hatte das Gefühl, daß ihre Arme sich nie mehr öffnen könnten, um ihn loszulassen. Sara mußte ihn hochheben und ihn in die Obhut Donatiennes geben. Von der Bewegung seiner Mutter überwältigt, fing das Kind auch, ohne zu wissen, warum, zu weinen an.
»Wann werde ich ihn wiedersehen?« murmelte Cathérine, die sich mit einemmal furchtbar elend fühlte. Es hätte nicht viel gefehlt, und sie hätte in ihrem großen Kummer das ganze verrückte Unternehmen aufgegeben.
»Wenn du willst«, sagte Sara seelenruhig, »wird dich nichts hindern zurückzukehren, falls du dein Ziel nicht erreichst. Und ich flehe dich an, Cathérine, versuche Gott nicht! Überschätze deine Kräfte nicht. Es gibt Fälle, wo es besser ist, sich in sein Schicksal zu fügen, auch wenn es grausam ist. Bedenke, daß nichts, obgleich ich hier bin, eine Mutter ersetzen kann! – Wenn die Hindernisse zu groß sind, komm zurück, ich beschwöre dich! … Und um der Liebe Gottes willen …«
»Um der Liebe Gottes willen«, schnitt Cathérine ihr das Wort, unter Tränen lächelnd, ab, »sag nichts weiter! Sonst habe ich in fünf Minuten nicht den geringsten Mut mehr.«
Doch als die Pforten der Abtei sich vor den Hufen ihres Maultiers öffneten, empfand Cathérine ein außerordentliches Freiheitsgefühl, eine Art Rausch. Sie hatte keine Angst mehr vor dem, was sie in den kommenden Tagen erwartete. Ihr Wille mußte über alle Hindernisse und Fallen triumphieren. Sie fühlte sich stärker, jünger und tapferer als je …
An ihrer Kehle, in einem Lederbeutelchen, das sie mit einem Band um den Hals befestigt hatte, trug sie den schwarzen Diamanten! Er hatte in ihren Augen fast jeden Wert verloren, mit einer Ausnahme! Er war der Schlüssel, der ihr das weite Land öffnete! Wenn sie ihn der Jungfrau vom Berge anbot, so hieß das gleichzeitig freie Bahn auf dem langen Weg, der sie vielleicht zu ihrem Gatten führte.
Als sie die Mauern von Montsalvy hinter sich gelassen hatte, warf Cathérine sich den großen, weiten Mantel über die Schultern, mit der uralten Geste des Hausierers, der sein schweres Los auf sich nimmt. Dann hob sie den Kopf. Ungerührt von dem sie noch lange begleitenden Klang der Glocken, die Augen fest auf das noch kurze Grün des Weges geheftet, ritt sie dahin, ohne Schwäche und ohne Tränen.
Siebzehntes Kapitel
Le Poy-en-Velay! Eine Stadt, die sich wie ein Strom, riesig und vielfarbig, um den Berg herumwand, mit einer großen, von Kuppeln und Türmen gekrönten romanischen Kirche. Als Cathérine und Bruder Eusebius ankamen, hielten sie einen Augenblick an, um das unglaubliche Bild zu betrachten, das sich ihnen bot. Die erstaunten Augen der jungen Frau schweiften von dem heiligen Hügel, dem alten Berg Anis, der sich von dem fernen Blau des gewellten Landes abhob, zu dem riesigen, ihm benachbarten Felsen und weiter zu der seltsam vulkanischen Spitze von Saint-Michel d'Aiguillie, steil wie ein Finger zum Himmel aufragend und die kleine Kapelle fest in sich verankernd.
Alles in dieser fremden Stadt schien für den Dienst an Gott gemacht zu sein, alles kam von ihm oder kehrte zu ihm zurück …
Aber je mehr Tore sie durchritten und je weiter sie in die Stadt vordrangen, desto mehr verwunderte die Reisenden die Farbenpracht der Straßen und ihr Gedränge, überall sah man nur Fahnen, Lilienbanner, mit Seidentüchern geschmückte
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