Cathérine de Montsalvy
Fenster … überall war das königliche Wappen Frankreichs zur Schau gestellt, und mit einer gewissen Verblüffung sah Cathérine plötzlich vor sich einen Trupp lärmender schottischer Armbrustschützen mit ihren Waffen vorbeiziehen.
»Die Stadt feiert ein Fest!« erklärte Bruder Eusebius, der sonst während eines ganzen Tages keine zehn Worte sprach. »Wir müssen herausbekommen, warum.«
Cathérine hatte sich in seiner Gesellschaft aufs Schweigen verlegt. Sie hielt es für überflüssig zu antworten, rief aber einen kleinen Jungen an, der mit seinem Krug einem nahen Brunnen zustrebte, um Wasser zu schöpfen.
»Warum diese Fahnen, diese Behänge, das ganze Gedränge?«
Der Junge hob sein mit Sommersprossen übersätes Gesicht, in dem zwei haselnußbraune Augen fröhlich blitzten, zu der jungen Frau und zog höflich die ausgefranste grüne Mütze.
»Unser Herr König ist vorgestern mit der Frau Königin und dem ganzen Hof in die Stadt eingezogen, um zu Unserer Lieben Frau zu beten und Ostern zu feiern und dann nach Vienne zu gehen, wo die Stände sich versammeln … Wenn Ihr ein Logis sucht, werdet Ihr ' s schwer haben. Alle Herbergen sind voll, denn zu allem hin heißt es, daß Monseigneur der Konnetabel heute hier eintreffen soll.«
»Der König und der Konnetabel?« fragte Cathérine erstaunt. »Aber sie sind doch verfeindet.«
»Genau! Unser Herr hat die Kathedrale erwählt, um ihn da wieder in Gnaden zu empfangen. Sie werden heute nacht zusammen den Abend des Passahfestes begehen …«
»Versammeln sich die Pilger nicht hier, die bald nach Compostela aufbrechen werden?«
»Doch, gnädige Dame! Das Städtische Hospital neben der Kathedrale ist voll von ihnen. Ihr müßt Euch beeilen, wenn Ihr Euch ihnen noch zugesellen wollt.«
Das Kind zeigte Cathérine noch den Weg zum Hospital. Es war ganz einfach: Es genügte, die lange, lange Straße weiterzureiten, die vom Panessacturm, in dessen Nähe sie sich befanden, nach Notre-Dame hinaufführte und schließlich in einer Treppe endete, einer Treppe, die unter dem Portalvorbau mündete. Ehe er seine Gesprächspartnerin verließ, fügte der Junge noch hinzu:
»Alle Pilger versorgen sich bei Meister Croizat, gleich neben dem Städtischen Hospital. Dort gibt es die haltbarsten Kleider für die große Reise und …«
»Ich danke dir«, unterbrach Cathérine, als sie das Auge des Bruders Eusebius, das gewöhnlich ohne jeden Ausdruck war, mit Neugier auf sich ruhen sah. »Wir werden uns ein Logis suchen.«
»Gott helfe Euch, eins zu finden! Aber Ihr habt keine Chance. Selbst das Palais des Bischofs, Monseigneurs Guillaume de Chalençon, ist zum Platzen voll. Der König hält dort Hof.«
Der Lausejunge rannte davon. Cathérine überlegte einen Augenblick. Es war keine Zeit mehr zu verlieren. Morgen nach dem Hochamt brachen die Pilger auf, und sie wollte mit ihnen gehen. Sie ließ sich von ihrem Maultier gleiten und wandte sich an Bruder Eusebius, der gelassen ihre Entscheidung erwartete.
»Nehmt die Tiere, mein Bruder, und geht ohne mich zum Städtischen Hospital. Dort fragt, ob man uns freundlicherweise ein Logis geben wolle. Hier habt Ihr Gold, um unsere Zeche zu bezahlen. Was mich betrifft, möchte ich sofort zur Kathedrale hinaufsteigen, zum Ziel unserer Pilgerfahrt. Ich habe Eile, Unserer Lieben Frau zu überreichen, was ich für sie bei mir trage, und es schickt sich nicht, daß ich mich dem heiligen Ort beritten nähere. Geht also ohne mich. Ich werde Euch später wieder treffen.«
Der würdige Bruder Pförtner von Montsalvy begnügte sich, durch ein Zeichen des Kopfes anzudeuten, daß er verstanden habe, nahm die Zügel ihres Maultiers und ritt ruhig seines Weges.
Langsam ging Cathérine die beflaggte Straße mit den zahlreichen Schildern hinauf. Händler mit Devotionalien wechselten mit Herbergen ab, mit Garküchen, mit Verkaufsbuden aller Art, und auf den Steinstufen vor ihren Türen saßen Frauen, vor sich mit Fäden bespannte Kissen, und ließen in ihren flinken Fingern eine Menge kleiner Spindeln hüpfen … Einen Augenblick blieb die Reisende vor einer dieser Spitzenklöpplerinnen stehen, die jung und hübsch war und ihr, ohne ihre Arbeit zu unterbrechen, freundlich zulächelte.
Sie wäre keine echte Frau gewesen, wenn die zierlichen Wunder, die unter den Feenfingern entstanden, nicht ihr Interesse erregt hätten. Doch eine Büßerprozession zog, mit voller Stimme Litaneien singend, von der Kathedrale herunter, und Cathérine, an ihr
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