Denkwürdigkeiten aus meinem Leben [microform]
Betreffs aller erstmalig mitgeteilten Stellen, der Originalbildnisse, der Einleitung und der Anmerkungen alle Rechte vorbehalten.
834-P5 84
Seiner lieben Frau und treuen Lebensgefährtin
ROSABLÜMML
in Liebe und Dankbarkeit zugeeignet
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EINLEITUNG
Welcher Wiener, der die Namen Greiner und Pichler hört, denkt nicht mit wehmutsvollem Gefühle, das alles Vergangene einflößt, an das Wien der Großväter-und Urgroßväterzeit! An jenes wallumgürtete Wien mit seinen hochgiebeligen Häusern, seinen engen und krummen Straßen, seinen lauschigen Plätzen und gon-nigen Basteien. Die lebensfrohen Bewohner von dainals, die Großstädter spieltenj obwohl das alte Wien, der Mittelpunkt des heiligen römischen Reiches deutscher Nation, doch nur eine kleine Stadt von heute war, sie schlummern in den alten Friedhöfen vor den ehemaligen Linien und was sie für ewig am Bilde ihrer Stadt hiel-ten, das schwand und wurde zur lieben Überlieferung, an die wir uns heute klammern. Die gute, alte Zeit, wie. wir sie so gerne nennen, die uns anheimelt, weil sie vergangen ist, die wir gerne miterlebt hätten, weil sie bereits märchenhaftes an sich hat, sie ist unsere Zu-fluchtsstätte, der wir in stillen, träumerischen Stunden zueilen, an der wir uns erlaben, deren ragende Zeichen wir aber in wollüstiger Grausamkeit zerstören. Denn der nüchterne, nur manchmal sich in weichHcher Ge-fühlsstimmung gefallende Großstädter kennt keine Rücksicht der Vergangenheit gegenüber, wenn es sich um gleißendes Gold, wenn es sich um den Verkehr, dieses Schlagwort. der Gegenwart, handelt. Er, der gern sein Urahne 'sein möchte, wenn er im wirbelnden,
hastenden Treiben des Lebens eine kurze Ruhestunde gefunden hat, die ihm den gequälten Schrei nach „mehr Freude!", um die er sich selbst betrog, aus-preßt, er brachte diese Urahnen mit lächelndem Ant-litz und ruhigem Gewissen um ihre letzte Ruhestätte, weil die Toten eben Verkehrshindernisse sind. Er riß die alten, anheimelnden Gebäude, da sie im Wege standen, nieder, er zerstörte die lauschigsten Plätz-chen, er hat die Vorstädte mit ihren vielen Gärten verschwinden gemacht, er hat die Dörfer vor den Linien ihrer Eigenheiten entblößt, ihres grünen Schmuckes und ihrer sonnigen Hügel und Weinreben beraubt und hat ein kahles Steinmeer, die Großstadt, geschaffen, die nach außen glänzend dasteht, im Innern aber schweres Elend birgt i).
Wenn vom Traumland des alten Wien auch nur weniges der Zerstörungswut des heutigen Geschlechtes entgangen ist, so ragt doch vorderhand, vielleicht wird es auch einmal Verkehrshindernis und muß dann schwinden, das alte Wahrzeichen, der St. Stephans-dom, stolz in die Lüfte hinaus und meldet von schweren und freudigen Tagen der Stadt, die zu seinen Füßen liegt. Wie viele Geschlechter sah er kommen und gehen, zu seinen Füßen niedersinken und in der geweihten Erde rings um ihn verschwinden. Alles um ihn änderte sich, doch er blieb der alte, der in seiner erhabenen Gotik stumm und kalt auf die Gleichgültigen, doch beredt auf die Fühlenden niederblickt, die in ihm Wiens Geschichte verkörpert sehen. Jede Zeit hat ihre
^) Vgl. dazu die äußerst lesenswerten Ausführungen von Jos. Aug. Lux (, ,Wenn Du vom Kahlenberg . . ." Das künstlerische Stadtbild Wiens, wie es war und wird. Wien 1907, S. 5 ff.) über das gewesene Wien.
Größen und ihre Sehenswürdigkeiten. Auch Wien hat deren viele gehabt, doch das Bleibende im Wandel der Zeiten blieb der Dom des heiligen Stephan. Es gab eine Zeit, noch liegt sie nicht allzuweit hinter uns, es waren die drei ersten Jahrzehnte des neunzehnten Jahrhunderts, da galten der Stephansturm und die Dichterin Karoline Pichler als Hauptmerkwürdigkeiten von Wien^). Beide mußte man gesehen haben, wollte man von Wiener Eigenart und Wesen etwas wissen und wenn sie auch nicht ebenbürtig waren, so waren sie doch gleicherweise Anziehungspunkte für die Fremden. Was man in Karoline Pichlers Heim ken= nen lernen konnte, das war eben jene echte Wiener Geselligkeit, die bei ihr in voller Blüte stand, an der alle Gebildeten gleichermaßen teilnahmen, und die heute mit ihren Trägern längst der Vergangenheit angehört.
Das Wiener Gesellschaftsleben, dessen Schilderin Karoline Pichler wurde und in dem sie selbst einen eigenartigen Kreis bildete, hat aber keine so weit
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