Cato 05 - Beute des Adlers
sahen nicht auf, als Vespasian zu einem weiteren Trennvorhang geleitet wurde, der in den hinteren Teil des Zelts führte. Er fragte sich, ob sie wohl bereits wussten, was ihn dort erwartete. Dann schalt er sich insgeheim für derart dumme Gedanken. Die Männer waren eben beschäftigt, weiter nichts. Sein Schicksal war noch lange nicht entschieden. Der Schreiber zog den Vorhang zurück. Der abgetrennte Bereich dahinter war kleiner als die übrigen. In den Schatten auf der gegenüberliegenden Seite konnte er ein Feldbett und mehrere Truhen ausmachen. In der Mitte stand ein Tisch mit einem reich verzierten Lampenhalter darauf, aus dem mehrere gelbe Flammen loderten. Ein großer nubischer Sklave schwenkte langsam einen großen Federfächer, um den beiden am Tisch sitzenden Männern Kühlung zu verschaffen.
»Vespasian!« Narcissus lächelte freundlich. »Schön, dich wiederzusehen, mein guter Legat.«
Narcissus sprach das letzte Wort in leicht geringschätzigem Ton aus. Wie üblich ließ der Sekretär keine Gelegenheit aus, ihn an die gegebenen Machtverhältnisse zu erinnern. Vespasian mochte zwar Legat sein und einer Senatorenfamilie entstammen, Narcissus dagegen – als einfacher freigelassener Sklave niedriger im Rang als selbst der gewöhnlichste römische Bürger – war die rechte Hand von Kaiser Claudius persönlich. Er besaß wahre Macht, angesichts derer der Stolz und der Hochmut der Senatoren keine Bedeutung hatten.
»Narcissus.« Vespasian senkte höflich den Kopf, als würde er einen Standesgenossen begrüßen. Dann wandte er sich General Plautius zu und salutierte förmlich. »Du hast nach mir geschickt?«
»In der Tat. Setz dich. Ich lasse Wein bringen.«
»Vielen Dank, Herr.« Vespasian ließ sich den anderen gegenüber in einen Stuhl sinken. Die kühle Luft, die ihm der Sklave entgegenfächerte, verschaffte ihm eine gewisse Erleichterung.
Nach einer kurzen Pause ergriff Narcissus erneut das Wort. »Mir scheint, das Problem – soweit ein einfacher Bürokrat eine militärische Situation überhaupt abschätzen kann – liegt darin, dass der Feldzug noch nicht vollständig beendet ist.« Narcissus richtete das Wort direkt an den General. »Schließlich ist uns Caratacus entkommen … wieder einmal.«
General Plautius nickte. »Ja – soweit wir wissen. Mehrere Tausend Männer konnten vor der Schlacht den Fluss überqueren.«
Vespasians Augenbrauen schossen überrascht nach oben. Es hatte keine Schlacht gegeben. Nur ein unbarmherziges Massaker. Dann begriff er, dass der General die Umstände absichtlich beschönigte. Zweifellos würde der Sekretär dem Kaiser einen Bericht schreiben, sobald er sich wieder in seinem Quartier befand, und für eine Schlacht war mehr Lob zu erwarten als für ein Gemetzel.
»Es mag sein«, fuhr Plautius fort, »dass Caratacus unter jenen ist, die über die Furt fliehen konnten. Das spielt so gut wie keine Rolle. Mit einer Handvoll Männer kann er keinen großen Schaden anrichten.«
Narcissus runzelte die Stirn. »So ungern ich Haare spalten will, General, aber mehrere Tausend Männer sind für mich nicht gerade eine Handvoll.«
»Wie dem auch sei.« Plautius zuckte mit den Schultern. »Das fällt in dem Maßstab, in dem wir unsere Operationen durchführen, kaum ins Gewicht.«
»Also darf ich dem Kaiser berichten, dass der Feldzug vorüber ist?«
Plautius antwortete nicht. Stattdessen warf er dem Legaten einen kurzen, warnenden Blick zu. Bevor die Unterhaltung fortgesetzt werden konnte, erschien ein Sklave mit dem Wein und stellte das Bronzetablett leise und vorsichtig auf dem Tisch ab. Er goss eine honigfarbene Flüssigkeit aus einer Karaffe in drei Silberkelche. Dann stellte er die Karaffe ab, drehte sich um und verschwand. Vespasian wartete, bis die anderen ihre Kelche aufgehoben hatten, bevor er zu seinem eigenen griff. Das Silber lag kühl in seiner Hand, und ein üppiger Duft stieg ihm aus dem Kelch in die Nase.
»Im Fluss gekühlt«, erklärte Plautius. »Die wohlverdiente Erfrischung nach einer hitzigen Schlacht. Trinken wir auf den Sieg!« Er hob den Kelch.
»Auf den Sieg«, sagte Vespasian.
»Auf den Sieg … sobald er errungen ist.«
General und Legat starrten den kaiserlichen Sekretär an, der langsam seinen Becher leerte und ihn dann sanft auf den Tisch zurückstellte.
»Wahrlich eine köstliche Erfrischung. Ich muss mir das Rezept geben lassen, bevor ich nach Rom zurückkehre.«
»Und wann wird das sein?«, fragte Plautius unverblümt.
»Sobald der
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