Cécile
folgte, den Korridor entlang, bis an den sogenannten Berliner Saal, an dessen Schwelle Cécile bereits stand und ihn begrüßte. Sie sah frischer und jugendlicher aus als in Thale, welchen Eindruck ein helles Sommerkostüm noch steigerte. Gordon war wie betroffen, und einer fast ans Sentimentale streifenden Empfindung hingegeben, nahm er ihre Hand und küßte sie mit Devotion.
»Herzlich willkommen«, sagte sie. »Und vor allem schönen Dank für Ihren Brief; er hat mir so wohlgetan. Und wie liebenswürdig, daß Sie Wort halten und unsrer gedenken.«
Gordon erwiderte, daß er vor zehn Tagen schon nachgefragt habe.
»Susanne hat uns davon erzählt. Und die Beschreibung, die sie machte, war so gut, daß St. Arnaud und ich gleich auf Sie rieten. Aber nun vor allem Pardon, daß ich Sie nicht in unsren Glanzräumen empfange. Wir sind noch wie zu Gast bei uns selbst und beschränken uns auf ein paar Hinterzimmer. Ein Glück, daß wir wenigstens einen leidlich repräsentablen Gartenbalkon haben. Übrigens finden Sie Besuch. Erlauben Sie, daß ich voraufgehe.«
Gordon verneigte sich, und einen Augenblick später traten beide, nach Passierung eines schon im Seitenflügel gelegenen und mit Philodendrons und andren Blattpflanzen fast überfüllten Raumes, auf einen Vorbau hinaus, der, aus Stein aufgeführt, mehr einem nach vorn hin offenen Zimmer als einem Balkone glich. Eiserne Stühle samt Tisch und Etagère standen umher, während auf einer mit Kissen belegten Gartenbank ein alter Herr mit schneeweißem Haar saß, der sich, als er Gordons gewahr wurde, von seinem Platz erhob.
»Erlauben mir die Herren, Sie miteinander bekannt zu machen: Herr von Leslie-Gordon, Herr Hofprediger Doktor Dörffel. Aber nun, wenn ich bitten darf, placieren wir uns. Der Stuhl in der Ecke da... wahrscheinlich verstaubt..., aber gleichviel, helfen Sie sich, so gut es geht. Und nun, Herr von Gordon, bitt ich, Ihnen ein Glas von diesem Montefiascone einschenken zu dürfen. Oder der Herr Hofprediger übernimmt es vielleicht; er hat ruhige Nerven und eine sichere Hand, während ich immer noch das Fingerzittern habe; Meer- und Gebirgsluft haben mir gleichmäßig die Hülfe versagt. Aber nichts von solch unerfreulichen Dingen. Ihr Wohl, Herr von Gordon.«
»Und das Ihre, meine gnädige Frau.«
Cécile dankte. »Erinnern Sie sich noch des Tages, wo wir das letzte Mal so zusammensaßen?«
»Oh, wie könnt ich des Tages je vergessen.«
Und er begann nun den Reim zu zitieren, worin Rosa von der »Perlen schönster Perle« gesprochen hatte.
Cécile ließ ihn aber nicht aussprechen und sagte: »Nein, Herr von Gordon, Sie dürfen mich nicht in Verlegenheit bringen, und am wenigsten hier vor meinem väterlichen Freunde. Ja, die Schmerlen und der Rodensteiner. Und als dann die Turner aufmarschierten! Es war so reizend. Aber das Reizendste von allem ist doch, daß wir in diesem Augenblicke darüber sprechen und den Herrn Hofprediger nicht nur in unsre gemeinschaftlichen glücklichen Erinnerungen einweihen, sondern auch auf Verständnis rechnen können. Denn er hat selber ein gut harzisch Herz und ist ein Quedlinburger, wenn ich nicht irre.«
»Nein, meine gnädigste Frau, nur ein Halberstädter.«
»Nur, nur«, lachte Gordon. »Jedenfalls beneid ich den Herrn Hofprediger um seine Geburtsstätte.«
»Zuletzt ist jeder Platz gerade gut genug, um darauf geboren zu werden.«
»Gewiß. Aber doch der eine vor dem andern. Und wenn ich meinerseits mir einen Platz hätte wählen können, so hätt ich mir Lübeck gewählt oder Wismar oder Stralsund, weil ich die Hansa-Passion habe. Gleich nach der Hansa aber kommt der Strich von Halberstadt bis Goslar. Und als drittes erst kommt Thüringen.«
Der Hofprediger reichte Gordon die Hand und sagte: »Darauf müssen wir noch eigens anstoßen; erst Hansa, dann Harz und dann Thüringen. Mir aus der Seele gesprochen, trotzdem es fast sakrilegisch ist. Denn ein richtiger lutherischer Geistlicher muß eigentlich auch zur Luther-Gegend halten.«
»Gewiß, zur Luther-Gegend, die die Dioskuren von Weimar uns gleich noch als Zugabe bringt. Aber der Harz hat nun mal meine ganz besondren Sympathien, und ich liebe jedes harzische Lied und jede harzische Sage, von Buko von Halberstadt an bis zu des Pfarrers Tochter...«
»... von Taubenhayn«, ergänzte der Hofprediger. Aber im selben Augenblicke wahrnehmend, daß Cécile, wie bei jedem unpersönlich bleibenden Gespräche, voll wachsender Abspannung dreinsah, brach er rasch ab
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