Cécile
sich's an und sagte: »Clothilde. Wie gut sie aussieht. Aber sie taugt auch nichts. Es muß über drei Wochen sein, daß ich an sie geschrieben. Und bis heute keine Antwort, trotzdem das Thema nichts zu wünschen übrigließ. Denn über was schrieben Frauen lieber als über eine andre Frau, und noch dazu, wenn sie merken, daß man sich für diese andre interessiert. Und doch kein Wort. Ist ein Brief verlorengegangen? Unsinn, Briefe gehen nicht verloren. Nun, es wird sich aufklären. Vielleicht liegt mein langes Skriptum irgendwo in Liegnitz, während Fräulein Schwester noch in der Welt umherfährt.«
In diesem Augenblicke klopfte es.
»Herein.«
Der Eintretende war ein Großindustrieller, Vorstand einer Fabrik für Maschinenwesen und Kabeldrähte, dem Gordons Ankunft von Bremen her telegraphiert worden war und der nicht säumen wollte, sich ihm vorzustellen. Gordon entschuldigte sich wegen der überall im Zimmer herrschenden Unordnung und bat den Fremden, einen eleganten Herrn von augenscheinlich weltmännischen Allüren, in einem der Fauteuils Platz zu nehmen. Der Fremde lehnte jedoch mit vieler Verbindlichkeit ab und lud seinerseits Gordon ein, ihn nach seiner Charlottenburger Villa hinaus begleiten und daselbst sein Gast sein zu wollen; sein Wagen halte bereits vor der Tür, und was Geschäftliches zu sprechen sei, lasse sich unterwegs verhandeln. »Wir haben dann den Abend für ein Gespräch mit den Damen.« Seine Frau, so schloß er, die passioniert für Nilquellen und Kongobecken sei, freue sich ungemein, einen so weitgereisten Herrn kennenzulernen, und wenn es Afrika nicht sein könne, so werde sie sich auch mit Persien und Indien zufriedengeben.
Gordon fühlte sich durch die ganze Sprechweise sehr angeheimelt und nahm an.
Der Abend in Charlottenburg war entzückend gewesen, und Gordon hatte sich wieder überzeugt, »wie klein die Welt sei«. Gemeinschaftliche Freunde waren entdeckt worden, in Bremen, England, New York, und zuletzt auch in Berlin selbst. Auch den Obersten von St. Arnaud kannte man; er habe eine schöne Frau, die schon einmal verheiratet gewesen sei (sehr hoch hinauf), und habe eines Duells halber den Abschied nehmen müssen. Unter solchem Geplauder war der Abend vergangen, und erst lange nach Mitternacht hatte Gordon, in einem Mischzustande von Müdigkeit und Angeheitertsein, seinen Heimweg angetreten.
Nun war es Morgen, und er erschrak fast, als er in sein Wohnzimmer trat und sich hier umsah. Alles lag noch gerade so da, wie's gestern, als der Besuch kam, gelegen hatte: Wäsche, zerstreut über die Stühle hin, Überzieher und Fracks an Schrankecken und Fensterriegel gehängt, und der Koffer selbst halb aufgeklappt zwischen Tür und Ofen. Am buntesten aber sah es auf dem Sofatisch aus, wo Nagelscheren und Haarbürsten, Eau-de-Cologne-Flaschen und Krawatten ein Chaos bildeten, aus dessen Zentrum ein rotes Fez und als Überraschung ein Markt-Astern-Bouquet aufragte, das die Wirtin, vielleicht um sich ihres Mieters fester zu versichern, mit beinah komischer Sorgfalt in eine blaue Glasvase mit Silberrand hineingestellt hatte. Nirgends ein Zollbreit Platz. Zu dem allen kam in eben diesem Augenblick auch noch der Kaffee; Gordon nahm schnell eine Schale voll und setzte dann das Tablett auf den Bücherschrank.
»Und nun sollt ich wohl«, hob er an, »in diesem Chaos Ordnung stiften. Aber ich war so lange nicht in Berlin, wenigstens nicht mit Muße, daß ich ein Recht habe, mich als einen Fremden anzusehen. Und für einen Fremden ist es immer das erste, daß er sich ein Kissen aufs Fensterbrett legt und die Häuser und Menschen ansieht.«
Und damit trat er wirklich ans Fenster und sah hinaus.
»Aber Häuser und Menschen in der Lennéstraße! Da hätt ich mir freilich einen anderen Stadtteil und vor allem ein anderes Vis-à-vis suchen müssen. Alles ist so still und verkehrslos hier, als ob es eine Privatstraße wäre mit einem Schlagbaum rechts und links. Sei's drum; man muß die Feste nehmen, wie sie fallen, und die Straßen auch. Im übrigen wird sich schon was finden, das der Betrachtung aus der Vogelperspektive wert wäre. Das an der Ecke da, das muß der Schneckenberg sein (Erinnerung aus meinen Collège-Tagen her), und wenn ich Glück habe, so seh ich auch noch ein Stück von dem Schaperschen Goethe. Wahrhaftig, da blitzt so was zwischen den Bäumen; – au fond sind Bäume besser als Häuser, und ein bißchen Publikum wird sich auch noch einstellen. Wo Bänke stehen, stehen auch
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