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Cécile

Cécile

Titel: Cécile Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Ihr guter Engel, das ist Ihr Dämon. Überschwenglichkeiten, die sich ins Religiöse kleiden, ohne religiös zu sein, haben keine Geltung vor Gott, ja, nicht einmal vor dem Papste. Wovon ich mich selbst einmal überzeugen durfte.«
    Der nüchterne Ton, in dem er dies sagte, machte sie stutzen, aber eine gute Wirkung, an der die Neugier einigen Anteil haben mochte, war doch für den sie scharf beobachtenden Hofprediger unverkennbar, und so nahm er denn aufs neue herzlich und zutulich ihre Hand und wiederholte: »Ja, meine gnädigste Frau, nicht einmal vor dem Papste, wovon ich mich selbst einmal überzeugen konnte. Vielleicht erinnern Sie sich, daß ich Hauslehrer und dann Reisebegleiter bei dem jungen Grafen Medem war und mit ihm nach Rom ging. Als wir daselbst eines Tages zu Schiff nach Terracina wollten, traf es sich, daß auch der Papst, der alte Gregor XVI., dieselbe Reise machte, damals schon ein hoher Siebziger. Ich seh ihn noch, wie er über die Schiffbrücke kam und, umgehen von seinen Dienerschaften, auf ein Zeltdach zuschritt, das man eben in der Nähe des Steuers für ihn aufstellte. Kaum aber, daß er sich hier placiert hatte, so drängte sich auch schon eine die Fahrt mitmachende Frau durch alle Dienerschaften hindurch, warf sich vor ihm nieder und umfaßte seine Knie. Sie war augenscheinlich aus der Campagna nach der Stadt gekommen und rief jetzt, unter fortwährenden heftigen Selbstanklagen, die Vergebung des Heiligen Vaters an. Der ließ sie denn auch eine Weile gewähren, als es aber andauerte, trat er zuletzt an den Schiffsrand und sagte kalt und abwehrend: ›Una enthusiasta.‹«
    Cécile starrte verwirrt und verstimmt vor sich hin, war aber doch sichtlich aus dem Bann ihrer Ängste heraus, und so durfte denn der Hofprediger in einem mit jedem Augenblicke freundlicher werdenden Tone fortfahren: »Und nun zürnen Sie mir nicht, meine gnädigste Frau, wegen eines Mangels an Rücksichtnahme. Kenn ich doch Ihren beweglichen und im letzten auch gesunden Sinn und weiß deshalb, Sie werden sich endgiltig aufrichten an dieser Geschichte. Die Heilslehren existieren und sollen uns Brot und Wein des Lebens sein. Aber sie sind nicht ein Schlagwasser oder Riechsalz, um uns in jedem beliebigen Momente plötzlich aus unserer Ohnmacht aufzuwecken. Es gibt auf diesem Gebiete nichts Plötzliches, sondern nur ein Allmähliches, auch die geistige Genesung ist ein stilles Wachsen, und je tiefer Sie sich mit dem Glauben an den Erlösertod Jesu Christi durchdringen, desto sicherer und fester wird in Ihnen der Friede der Seele sein.«

 
Neunzehntes Kapitel
     
    Während der Hofprediger mit Cécile dies Gespräch führte, schlenderte Gordon am andern Kanalufer auf seine Wohnung zu, bog aber, als er auf diesem Rückwege die Pfeiler der die Straße kreuzenden Eisenbahnbrücke passiert hatte, zunächst nach links hin in einen wenig belebten Weg ein, um hier, am Potsdamer Bahndamm entlang, ungehinderter seinen Gedanken nachhängen zu können. Ahnungslos hinsichtlich des Stimmungsumschlages, der sich, nachdem er den Balkon verlassen, im Gemüte seiner Freundin vollzogen hatte, war das ihn beherrschende Gefühl lediglich ein freudiges Staunen über die vorgefundene Wandlung zum Guten und Gesunden hin. Ja, die Cécile seiner Thalenser Tage war eine schöne, trotz aller Melancholie beständig nach Huldigungen ausschauende Dame gewesen, während die Cécile von heut eine heitre, lichtvolle Frau war, vor der der Roman seiner Phantasie ziemlich schnell zu verblassen begann.
    »Was bleibt übrig? Ich glaube jetzt klar zu sehen. Sie war sehr schön und sehr verwöhnt, und als der Prinz, auf den mit Sicherheit gerechnet wurde, nicht kommen wollte, nahm sie den Obersten. Und ein Jahr später war sie nervös, und zwei Jahre später war sie melancholisch. Natürlich, ein alter Oberst ist immer zum Melancholischwerden. Aber das ist auch alles. Und schließlich haben wir nichts als eine Frau, die, wie tausend andre, nicht glücklich und auch nicht unglücklich ist.«
    Unter solchem Selbstgespräche war er bis an die Bülowstraße gekommen und wollte sich eben, unter Benutzung derselben, in weitem Bogen wieder zurück nach dem Tiergarten schlängeln, als er, in einiger Entfernung, eines Begräbniszuges gewahr wurde, der nach dem Matthäikirchhofe hinaus wollte. Der gelbe, mit Kränzen überdeckte Sarg stand auf einem offnen Wagen, in dessen Front ein schmales, silbernes Kreuz beständig hin und her schwankte. Hinter dem Wagen kamen

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